Nur wenn du mich hältst (German Edition)
in Plauderlaune. „Also, wie hat dir dein erster Flug gefallen?“, fragte er.
„War ganz gut.“
„Weißt du, ich war noch älter als du, als ich das erste Mal geflogen bin. Das war im Sommer vor meinem letzten Jahr in der Highschool. Es war die gleiche Strecke wie bei dir – von Houston nach New York. Es war für ein All-Star-Baseball-Team, in dem Kinder aus dem ganzen Land zusammenkamen. Wir durften mit einem Coach namens Carminucci trainieren. Dino Carminucci. Er hatte eine steile Karriere bei den Yankees hingelegt. Inzwischen ist er pensioniert und managt die Hornets, die der Grund dafür sind, dass ich vor einigen Jahren in Avalon gelandet bin.“ Er verstummte und versuchte zu erkennen, ob AJ überhaupt an einer Unterhaltung interessiert war.
Der Junge hielt den Blick stur auf den grauen Horizont gerichtet.
„Die Hornets“, fuhr Bo fort, „sind meine Mannschaft. Wir spielen in der Can-Am-Liga. Das ist die unabhängige Baseballliga. Völlig anders als die Major League. Ich habe meine ganze Karriere in dieser Liga gespielt und nie damit gerechnet, dass sich das noch mal ändern würde. Doch wenn diesen Winter alles so läuft, wie geplant, könnte das tatsächlich passieren.“ Er warf AJ einen kurzen Blick zu, aber der Junge schien sich nicht im Geringsten für seine Geschichte zu interessieren, und er konnte ihm keinen Vorwurf deswegen machen.
„Tut mir leid“, sagte er. „Ich rede nur so vor mich hin. Du bist nach der langen Flugzeit vermutlich ziemlich kaputt.“
AJ nickte, schwieg aber. Trotzdem entspannte sich die Stimmung nach dieser Bemerkung deutlich. Bo legte ein Handgelenk locker oben aufs Lenkrad und schaute auf die Straße. Dabei erinnerte er sich an seinen ersten Flug, als wäre es gestern gewesen. Damals war er ein Junge, der gebrannt hatte. Natürlich nicht wortwörtlich, obwohl er sich mit siebzehn gefühlt hatte wie ein angezündetes Streichholz. Ohne jemanden, der zu Hause auf ihn aufpasste und ihm half, mit seiner inneren Unruhe umzugehen, hatte ihn alles interessiert, was ihm einen Adrenalinkick verschaffte – in den tiefen Gräben westlich der Stadt schwimmen, mit dem Skateboard durch Parkhäuser sausen, sich mit seinen Freunden gegenseitig mit Böllern bewerfen, auf Hot Rods durch die Abwasserkanäle und Bayous von Houston rasen – er war wie eine Zeitbombe gewesen, die nur darauf wartete zu explodieren.
Er hatte keinen Ärger gesucht, sondern fand das Leben einfach nur ungemein aufregend, wenn auch nicht immer auf gute Weise. In jenem besonderen Sommer hatte er aus Wut über seine Mutter unter Strom gestanden. Sie war mal wieder pleite und hatte den Trailer im Wagon Wheel Mobile Home Court aufgeben müssen. Das passierte in regelmäßigen Abständen, und manchmal zog er dann bei seinem Bruder Stoney ein. Doch in dem Jahr arbeitete Stoney, der gerade die Highschool abgeschlossen hatte, auf einer Ölbohrplattform und konnte sich nicht um ihn kümmern. Er konnte auch nicht die Schulden ihrer Mutter begleichen, weil Stoney in finanziellen Dingen genauso ungeschickt war wie sie und dementsprechend genauso pleite.
Während seine Mutter an der Golfküste herumfuhr und sein Bruder für eine Ölbohrfirma arbeitete, hatte er sich einem weiteren Sommer in Pflegeheimen ausgesetzt gesehen. Doch dann stellte sich heraus, dass sein Baseballcoach Mr Landry Holmes andere Pläne für ihn hatte. Holmes hatte auf dem College in Florida mit einem gewissen Dino Carminucci zusammengespielt. Sie hatten die ganzen Jahre über Kontakt gehalten. Holmes war schließlich als Trainer in Texas gelandet, und Carminucci wurde Scout für die Yankees. Coach Holmes hatte alles Nötige veranlasst, damit er im All-Star-Programm mitmachen konnte. Irgendwie hatte er sogar das Geld für das Flugticket und ein wenig Taschengeld aufgetrieben. So war das bei Coaches – sie waren alle über ein riesiges unsichtbares Netzwerk miteinander verbunden. Das Ganze war arrangiert worden, um ihn aus möglichen Schwierigkeiten herauszuhalten und dem einzigen Talent seiner Mannschaft etwas Gutes zu tun, damit er vielleicht nicht wie seine Mom und Stoney endete und ziellos durchs Leben trieb.
Auch was Mädchen anging, hatte er in diesem Sommer in Flammen gestanden. Diese Faszination hatte ihn das erste Mal in der achten Klasse heimgesucht, als er im Sozialkundeunterricht hinter Martha Dolittle saß und jede ihrer leichten mädchenhaften Bewegungen beobachtet hatte. Wenn man die Verrücktheit nach Mädchen hätte messen
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