Nur zu deinem Schutz (German Edition)
an der Garage entlang. Als wir die Rückseite erreicht hatten, hielt ich die Taschenlampe etwas höher.
»Was zum Teufel …?«
Ema hatte recht gehabt. Da war ein Garten. Ich kenne mich nicht besonders gut mit Pflanzen aus, aber selbst ich konnte erkennen, dass dieser Garten gehegt und gepflegt wurde und ein echtes Schmuckstück war. Inmitten der grünen Wildnis wirkte er wie ein leuchtend bunter Farbenteppich, der ungefähr fünf mal fünf Meter groß und von einem etwa dreißig Zentimeter hohen schmiedeeisernen Zaun eingefasst war. Mitten hindurch verlief ein Pfad, der von wunderschönen Blumen gesäumt war, und an dessen Ende etwas stand, das definitiv nach Grabstein aussah.
Einen Moment lang blieben Ema und ich ehrfürchtig stehen. Ich bildete mir ein, leise Musik hinter mir zu hören. Rockmusik. Ich sah Ema an. Sie hatte es auch gehört. Leise schlichen wir zurück. Die Musik kam eindeutig aus dem Haus, obwohl nach wie vor alles dunkel war.
Wir drehten wieder um, doch plötzlich blieb Ema stehen. »Das Grab …«, sagte sie, »da liegt bestimmt ein Hund oder eine Katze drin, oder?«
»Bestimmt«, sagte ich eine Spur zu hastig.
»Wir sollten es uns vielleicht trotzdem genauer anschauen.«
»Sollten wir«, sagte ich und spürte, wie meine Beine anfingen zu zittern. Wir gingen zum Garten zurück, stiegen über den niedrigen Zaun, liefen den schmalen Pfad entlang und blieben vor dem Grabstein stehen. Ich ging davor in die Hocke. Ema tat es mir nach. Es wehten immer noch leise Musikfetzen zu uns herüber, jetzt konnte ich sogar ein paar Textstellen heraushören:
My only love,
We’ll never see yesterday again …
Die Stimme kam mir bekannt vor – Gabriel Wire von HorsePower vielleicht? –, aber das Lied hatte ich noch nie gehört. Ich schob den Gedanken beiseite und richtete den Strahl der Taschenlampe auf den verwitterten grauen Grabstein. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich plötzlich den seltsamen Gedanken, dass mir Ashleys Name auf dem Stein entgegenspringen würde, dass jemand sie umgebracht und hier vergraben hatte und dass meine Suche zu Ende war. Wie gesagt, das Ganze dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber es jagte mir trotzdem eine Gänsehaut über den Körper.
Ich konzentrierte mich wieder auf den Stein und ließ den Lichtstrahl langsam tiefer wandern. Ungefähr in der Mitte befand sich eine Inschrift. Ich las sie, runzelte die Stirn, las sie noch einmal, wusste anschließend jedoch immer noch nicht, was ich davon halten sollte.
S TREBEN WIR STETS DANACH
U NSER H ERZ WACHSEN ZU LASSEN
D ENN JE AUSLADENDER DIE Ä STE EINER E ICHE
UMSO MEHR ZUFLUCHT BIETET SIE.
»Verstehst du das?«, fragte Ema.
Das Wort Zuflucht war hervorgehoben. Warum? Wieder dachte ich an meinen Vater und an das Kündigungsschreiben an ABEONAS …
ZUFLUCHT .
Ein Zufall?
Ich hielt die Taschenlampe noch ein bisschen tiefer.
H IER LIEGT E.S.
E INE K INDERN GEOPFERTE K INDHEIT
»›Eine Kindern geopferte Kindheit‹«, las Ema laut. »Was zum Teufel soll das heißen?«
»Keine Ahnung.«
»Wer ist E.S.?«
Ich zog ratlos die Schultern hoch. »Vielleicht ihr Hund, der hier begraben ist, oder ihre Katze.«
»Ein Hund oder eine Katze, dessen Kindheit für Kinder geopfert wurde?«
Sie hatte recht. Das ergab keinen Sinn. Ich ließ den Lichtstrahl weiterwandern, bis er fast den Boden erreicht hatte, und dort stand in ganz kleiner Schrift:
A30432
Ich spürte, wie mir das Blut in den Adern gefror.
»Wieso kommt mir das so bekannt vor?«, fragte Ema.
»Das ist das Kennzeichen der schwarzen Limousine.«
»Ach ja, richtig.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Wieso haben die ein Autokennzeichen auf den Grabstein geschrieben?«
Ich hatte keine Ahnung. »Vielleicht ist es gleichzeitig ein Datum«, sagte ich.
»Ein Datum, das mit dem Buchstaben A beginnt?«
»Die Ziffern, meine ich. Drei könnte für März stehen, vier für den vierten Tag, zweiunddreißig für das Jahr 1932.«
Ema sah nicht überzeugt aus. »Glaubst du?«
Wenn ich ehrlich war: nein. Ich richtete mich auf und blieb unschlüssig stehen, während Ema um den Grabstein herumging und das Display-Licht ihres Handys benutzte, um etwas zu sehen. Vom Haus drang nach wie vor leise Musik zu uns. Es war weit nach Mitternacht.
Welche alte Frau hörte um diese Zeit noch Rockmusik?
Eine Frau, die immer noch alte Vinylplatten abspielte. Die einen merkwürdigen Grabstein in ihrem geheimen Garten stehen hatte. Die seltsamen Besuch in einer schwarzen
Weitere Kostenlose Bücher