Nur zu deinem Schutz (German Edition)
mit antiken Gottheiten beschäftigt, weil die ja ein ziemlich beliebtes Tattoo-Motiv sind. Jedenfalls ist Abeona eine römische Göttin. Hast du das gewusst?«
Ich stand wie vom Donner gerührt da und dachte an das Kündigungsschreiben meines Vaters: Ich weiß, dass niemand jemals wirklich Abeonas Zuflucht verlässt …
»Ich persönlich hab ja andere Lieblingsgötter«, redete Ian weiter, »aber egal. Diese Abeona ist jedenfalls so eine Art Schutzgöttin, die über die ersten Gehversuche von Kindern wacht, wenn sie die Obhut ihrer Eltern verlassen. Irgendwie so was in der Art. Und Tisiphone ist eine der drei Rachegöttinnen aus der griechischen Mythologie. Sie übt für Morde Vergeltung, vor allem für Morde an Kindern. Kennst du die Geschichte?«
Ich schüttelte stumm den Kopf.
»Okay, pass auf. Tisiphones Vater, Alkmaion, hat sie und ihren Bruder Amphilochus dem korinthischen König Kreon anvertraut, damit sie an seinem Hof in Theben aufwachsen konnten. Aber Tisiphone wurde ein ziemlich heißer Feger, also hat Kreons eifersüchtige Frau sie an einen Sklavenhändler verkauft. Die Frau wusste aber nicht, dass der Typ, der Tisiphone gekauft hat, für Alkmaion – also für ihren Vater – gearbeitet hat, verstehst du? Es war alles so geplant, um seine Kinder zu retten.«
»Woher weißt du das alles«, fragte ich.
»Oh Mann, Agent hat ständig davon gequasselt. Deswegen steht er ja auch so auf diesen Schmetterling. Ich glaube, er kommt aus Australien oder Neuseeland, aber für Agent ging es vor allem darum, dass er nach Tisiphone und Abeona benannt ist. Deswegen tätowiert er ihn so gern. Siehst du die Augen auf den Flügeln? Als würden sie auf jemanden aufpassen. Agent sagt immer, dass der Schmetterling als Symbol dafür steht, Kinder zu retten. Ihnen eine Zuflucht zu geben.«
Zuflucht. ABEONAS ZUFLUCHT . Die Organisation, für die mein Vater all die Jahre gearbeitet hat …
»Ian«, sagte Ema ernst. »Weißt du, wo wir Agent erreichen können?«
Ian lächelte. »Er hat mir gesagt, dass du das fragen würdest und was ich darauf antworten soll. Nein.«
»Nein?«
»Nein. Es gibt keine Möglichkeit, Agent zu erreichen. Nicht die geringste.« Er sah mich wieder an. »Also, was sagst du, Mickey? Bist du bereit für das Tattoo?«
Mein Handy vibrierte. Ich schaute aufs Display. Eine Nachricht von Rachel: Habe einen Hinweis auf Ashley.
»Ein andermal vielleicht«, sagte ich und stürzte zur Tür.
Vielleicht auch nie.
21
WIR WOLLTEN UNS EIGENTLICH ALLE bei mir zu Hause treffen, aber ein kurzer Anruf auf Myrons Handy machte diesen Plan zunichte.
»Wo bist du?«, wollte er wissen.
Sein Tonfall passte mir nicht.
»Bei Freunden«, sagte ich.
»Und wie bist du dort hingekommen? Ich frage nur, weil der Ford Taurus nicht in der Garage steht …«
Oh-oh. Ema sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Ich deutete auf das Handy und formte mit den Lippen das Wort »Stress«.
»Ich weiß, dass dein Vater dir das Autofahren beigebracht hat«, sagte Myron. »Aber dem Gesetz nach bist du nun mal zu jung, um selbst zu fahren, und das weißt du.«
»Ich bin bloß zu einer Freundin gefahren«, sagte ich.
»Wie heißt sie?«
»Rachel. Du hast sie gestern Abend kennengelernt.«
»Hättest du nicht zu Fuß zu ihr gehen können?«
»Na ja … ähm … die Sache ist die …« Ich holte tief Luft. »Also um ehrlich zu sein, hab ich ihr gegenüber so getan, als wäre ich schon älter, sonst hätte sie sich doch nie für mich interessiert.«
Wow, gab es eine noch lahmere Ausrede?
»Du hast sie angelogen?«
»Nicht wirklich. Ich habe sie nur in dem Glauben gelassen … Okay, hör zu, ich sag ihr die Wahrheit und danach fahr ich den Wagen nach Hause und benutze ihn nie wieder.«
»Mickey«, sagte Myron und schlug seinen Ersatzvaterton an. »Weißt du, was passiert, wenn Chief Taylor dich hinter dem Steuer erwischt?«
Ich sagte nichts.
»Du gehst zu Fuß nach Hause. Ich hole den Wagen dann irgendwann selbst ab.«
»Okay«, sagte ich. »Danke. Aber kann ich noch ein bisschen bleiben?«
»Nur wenn du mir versprichst, Rachel die Wahrheit zu sagen«, antwortete Myron. »Es ist nie gut, eine Beziehung auf einer Lüge aufzubauen.«
Oh Mann.
»Du hast vollkommen recht«, sagte ich, obwohl ich beinahe an den Worten erstickte. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass er sich seine guten Ratschläge sonst wohin stecken konnte, aber ich hatte keine Lust, lange mit ihm herumzudiskutieren, also blieb mir nichts anderes übrig, als
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