Nuramon
Anliegen, und sie machte ihre Sache besser, als sie erwartet hätte. Die Boten, allen voran Yurna, waren ständig in ihrem Auftrag unterwegs und brachten Briefe in jeden Winkel des Fürstentums. Einen Adligen nach dem anderen band sie so an das Fürstenhaus und säte auch bei Nichtadligen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Rasch sprach sich herum, dass ein Brief an sie selten unbeantwortet blieb, und so widmete sie sich immer häufiger den Bittschreiben, mit denen Familien sich an sie wandten. Sie vermittelte Anstellungen, gewährte nach Rücksprache mit Borugar Darlehen und ließ Missstände, die man ihr mitteilte, gewissenhaft prüfen.
Aus ihrer Freigiebigkeit erwuchs Dankbarkeit, und mittels dieser band sie die Menschen an sich. Jene aber, die mehr und mehr wollten und einen wiederholten Gefallen bald als Selbstverständlichkeit betrachteten, hielt sie auf Distanz.
Endlich trug ihr Rat Früchte, und ihr Vater vertraute ihr. So war sie es, die ihn auf den Gedanken brachte, die Albensterne zu befestigen. »Im Westen, damit sich unsere Kriegsscharen dort sammeln können und versorgt sind«, sagte sie. »Im Osten, um sie vor dem Zugriff der Feinde zu schützen, falls diese je wieder über den Ruljas kommen.«
Dieser Vorschlag begeisterte Borugar, mit anderen hingegen war er weniger einverstanden. Daoramu träumte davon, die Fischerdörfer am Festland vor Jasbor zu einer Stadt zusammenzufügen. »Yannalur«, sagte sie und zeigte eine Skizze. »Die Fischer bleiben. Dahinter aber stehen die Handelshäuser und jenseits davon die Höfe.«
»Wir würden uns übernehmen«, war Borugars Antwort.
Sie nickte, verschob ihren Traum von der Handelsstadt am Festland auf einen späteren Zeitpunkt und widmete sich gleich dem nächsten: der Eröffnung eines fürstlichen Handelshauses. Auch hier bekam sie Gegenwind. Die Berater hielten es für unklug, die Adligen verwiesen auf die leeren Schatzkammern, und die Händler warnten vor möglichen Verlusten. Doch als sie ihrem Vater unter vier Augen von dem Vermögen erzählte, das sie in Alvarudor mit nur einem einzigen Handelszug gemacht hatte, wurde er neugierig. »Die Albenpfade sind der Schlüssel«, sagte sie.
Ein halbes Jahr später waren die Schatzkammern voll, und das fürstliche Handelshaus kaufte den Hof auf dem Markt, in dessen Ecke sich das alte Haus ihrer Familie befand. Nuramon hatte anfangs ein schlechtes Gewissen, weil ihnen Handelswege zur Verfügung standen, die anderen nicht gegeben waren. Doch die Händler von Jasbor waren begierig auf die Stoffe und Edelsteine aus dem Süden.
Nuramon in Friedenszeiten zu erleben war etwas, das Daoramu genoss. In Alvarudor hatte er sich bereits einen Namen als Geschichtenerzähler gemacht; hier am Hof sang er oft Elfenlieder, und seine Gemälde wurden zum Anschauungsobjekt für Maler. Auf die Frage, wo er die Künste gelernt hatte, sprach er vor dem ganzen Hof von der Wiedergeburt und dem Zeitgefühl von Elfen. Er wurde beliebt in Jasbor, und als Daoramu bemerkte, wie andere Frauen ihn ansahen, kehrte die alte Angst vor dem Altern zurück. Nuramon aber hatte nur Augen für sie, und die gemeinsamen Stunden mit ihm und der Familie verdrängten die Angst immer wieder.
Als Nerimee krabbeln konnte, griffen die Stadtgardisten die ersten Spione aus Varmul auf, und als die Kleine ihre ersten Worte sprach, erreichten sie die ersten Schmähbriefe. Daoramu schien es, als nähme der Wind, der ihnen ins Gesicht blies, mit jedem Monat zu. Erst war es nur eine leichte Brise, doch als sie kurz nach Nerimees zweitem Geburtstag auf dem Westteil der Insel spazieren gingen, zischte ein Pfeil an Daoramu vorbei und verfehlte Nerimees Kopf nur um Haaresbreite. Der Schütze entkam, und in ihr Glück mischte sich langsam, aber stetig die Furcht um ihre Familie. Auch ihr Vater war, so schien es ihr manchmal, auf den Schlachtfeldern sicherer gewesen als auf den Straßen von Jasbor. Immer häufiger kam es zu Mordversuchen, doch die Wachen – allen voran Nylma und Yargir – wussten ihren Fürsten stets zu schützen.
Seit Nylma nicht mehr stillte, war sie oft an Borugars Seite oder begleitete Daoramu, wenn sie auf Reisen ging und Nerimee bei Nuramon oder ihrer Mutter am Hof blieb. Mehrmals kam Nylma dabei selbst dem Gifttod nahe, weil sie mit ihrem Körper einen Dolchstoß oder Pfeil abfing, der für Borugar bestimmt gewesen war. Nuramon holte sie jedes Mal von der Schwelle des Todes ins Leben zurück. Mit der Zeit machten Yargir die vielen Angriffe
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