Nuramon
Knallen des Rammbocks übertönte nicht die Schmerzensschreie, die aus der Tiefe zu ihnen heraufdrangen. Gaerigar biss sich fest auf die bebenden Lippen. Sich um das Leben seiner Schwester zu sorgen und zu wissen, dass auch seine Taten über sie entschieden, ängstigte ihn mehr als alles andere.
Ein weiterer Schlag, und die Tür flog auf. Gaerigar folgte Nylma in die Tiefe. Hinter einer Biegung der Treppe erwartete sie ein Gewölbe voller Bewaffneter. Ein Schuss, und Nylma hob den Schild und lenkte einen Armbrustbolzen gegen die Wand. Ein zweiter flog über ihre Köpfe hinweg und traf einen der nachfolgenden Gefährten. Kaum waren sie in dem Raum, schon strebten Gaerigar und Nylma nach rechts und zogen ihre Krieger nach. Einen Augenblick später tobte der Kampf.
Nylma blockte einen Schwerthieb mit dem Schild, einen Dolchstich stoppte sie mit der Klinge des Kurzschwertes, und der dritte Angreifer, der sich ihr entgegenstellte, erstarrte in der Bewegung. Das Schwert des Fürsten steckte ihm im Hals, und Gaerigar konnte kaum glauben, dass er den Stich gesetzt hatte.
Nylma stieß den Getroffenen mit dem Schild von Gaerigars Klinge gegen die nachrückenden Feinde; schon drängte sie nach vorn, und Gaerigar ließ sich mitziehen. Seine Schwertmutter konnte sich auf ihn verlassen; ganz so, als ob sie noch immer der Schal der Übungskämpfe an den Handgelenken verband. Drei Schritte vorwärts, und Gaerigar hatte vier weitere Männer niedergestreckt. Er hatte seine ersten Gegner getötet, doch was immer er hätte fühlen sollen, es konnte sich durch den pausenlosen Kampf nicht entfalten. Und so ging es weiter. Bis zur Wand – dann zur Seite –, bis zum Gang. Dort standen zwei Männer vor einer offenen Tür und drohten mit ihren Schwertern.
Der eine warf seine Waffe fort, der andere schaute entgeistert zur Seite. Nylma versetzte dem Unbewaffneten einen Schlag mit dem Schild und schlug dem anderen gegen den Schwertarm. Er ließ seine Klinge fallen. Die beiden Entwaffneten zogen sich bis ans Ende des Gangs zurück und machten so den Weg in die Zelle frei.
In dem Raum flackerte ein Schein. Eine brennende Gestalt lag regungslos zur Rechten in der Ecke. Vier Männer, die diese umgaben, standen wie angewurzelt da. Links im Schatten zischte es, und ein Feuer flammte auf. Da sah Gaerigar sie – Nerimee. Hoch aufgerichtet stand sie an Helguras Seite und schoss ihren Peinigern Stichflammen wie Pfeile entgegen. Zwei der Männer warfen sich blitzschnell zu Boden. Die Flammen schossen über sie hinweg, trafen die beiden verbliebenen Männer und trieben sie gegen die Wand.
Einer der zu Boden Gesprungenen ging in die Hocke und warf Nerimee einen Dolch entgegen. Doch statt in ihren Kopf zu dringen, steckte der Wurfdolch mit einem Mal in Helguras Hand. Sie hatte ihn abgefangen und damit ihre Herrin geschützt.
Gaerigar stürmte nun an Nylmas Seite vor, dem Dolchwerfer entgegen. Ein Schlag, und er brach dem Krieger mit seiner Klinge den Arm; ein Tritt, und sein Gegner taumelte zurück, fing sich und brüllte: »Gnade!« Doch mit einem Mal steckte ein Dolch in seiner Schläfe. Ein Blick zur Seite, und Gaerigar sah Helgura. Sie stand gebückt vor Nerimee.
Da gaben die verbliebenen Gegner auf und stellten sich auf Nylmas Befehl mit dem Rücken gegen die Wand.
Gaerigar lief hinüber zu Nerimee. Sie wandte ihren Blick nur widerwillig von den Männern ab. »Gaerigar?«, flüsterte sie, als sie ihn erkannte. »Du bist meinetwegen gekommen?«
Er nickte und musterte sie. Das sonst so glänzende Haar hing ihr in verklebten Strähnen um das blutverschmierte Gesicht. Ihr schmaler Körper, der nur noch in einem zerfetzten Hemd steckte, war zerschunden und über und über mit Blutergüssen bedeckt. Sie blinzelte nicht, und ihre Augen funkelten unruhig im Schein des Feuers. Er hatte seine sanfte Schwester noch nie so zornig und zugleich so erschüttert erlebt.
»Hast du gesehen, was ich getan habe?«, fragte sie, als drei Palastgardisten hinzukamen und Nylma die Bewachung der Gefangenen abnahmen.
»Ich habe es gesehen«, antwortete Gaerigar.
Nerimee schaute zu ihren Peinigern hinüber, die überlebt und sich ergeben hatten. »Den einen habe ich getötet«, sagte sie. »Aber die da sind mir entgangen. Wie gern würde ich es ihnen heimzahlen. Ein Wort von dir, Helgura, und sie sind alle tot.«
Helgura, der Nylma gerade die Hand mit einem Tuch verband, schüttelte den Kopf. »Überlassen wir sie deinem Vater«, sagte sie mit bebenden
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