Nuramon
war überrascht, und doch verstand er es. Gaerigar hatte sich bislang – murrend, aber letzten Endes folgsam – im Hintergrund gehalten und war den Kriegern dabei ein größeres Vorbild gewesen als manch ein Feldherr. Seine Boten hatten Schlachten entschieden, seine Initiative manche Kriegsschar vor dem Untergang bewahrt. Jetzt aber machte er ein Gesicht, das Nuramon selten an ihm gesehen hatte: eine Miene purer Freude; wie damals, als er und Daoramu ihm erlaubt hatten, von Nylma und Yargir unterwiesen zu werden.
»Was sagst du, Vater?«, fragte Gaerigar grinsend, als Borugar den Kriegsrat unterbrach und die Feldherren das Zelt verließen.
Nuramon legte seinem Sohn die Hände auf die Schultern und sah ihm fest in die Augen. »Sei du selbst! Das ist mein Rat.«
»Das werde ich. Ich werde das für Borugar sein, was Yargir für Nylma ist. Der Schutz, die Verteidigung. Und manchmal werde ich vorstoßen und zaubern.«
Nuramon lächelte und dachte an den Tag, als Gaerigar einen Stein mit einem Zauber belegt und geworfen hatte. Dieser hatte sich zu einem Steinhagel vervielfacht, der auf eine Rüstung geprasselt war und diese verbeult hatte. »Flammen und Stein!«, sagte Nuramon. »Zeig den Feinden, über welche Macht du verfügst. Die Furcht der Feinde ist ein gewaltiger Verbündeter.«
Gaerigar grinste, holte einen Beutel von seinem Gürtel, öffnete ihn und zeigte Nuramon all die kleinen Steine, die er darin trug.
Die Sonne war kaum aufgegangen, als Gaerigar inmitten der Fürstengarde von den nördlichen Hügeln Varlbyra entgegenzog. Als sie die Stadt erreichten, versuchten Jasgurs Leute bereits über Leitern und einen Belagerungsturm links und rechts des Tores auf die Mauer zu drängen. Die Fürstengarde brachte einen Rammbock nach vorne und legte selbst Hand an. Auch Gaerigar packte seinen Griff am Stamm, der auf einem Wagen befestigt war und den sie nur anschieben mussten, während die Garde schützend Großschilde über ihre Köpfe hielt. Vor ihm war sein Großvater, davor war Yargir, daneben Nylma. Keuchend bewegten sie sich mit dem schweren Wagen vorwärts.
Schon regneten Steine und Pfeile zu ihnen herab und trommelten auf die Schilde ein, dann zischte es, und eine Flüssigkeit regnete zwischen den Schilden hindurch. »Öl!«, rief Nylma. Doch noch ehe sie den Rammbock zurückschieben konnten, stand die Luft bereits in Flammen.
Gaerigar riss seinen Großvater von dem Rammbock fort und rollte sich gemeinsam mit ihm am Boden zur Seite. Borugar schrie auf, schaute in seine verbrannten Hände und zwang sich auf die Beine. Schon waren Nylma und Yargir mit ihren Leuten zur Stelle und packten den Fürsten.
Die Krieger von Varlbyra gossen weiterhin Öl aus Tonkrügen zu ihnen herab, und Gaerigar sprang zurück, als die Flammen erneut emporschossen. Dann aber fühlte er sich in die Hitze des Feuers ein, riss die Arme hoch und entließ den Zauber mit all seiner Wut die Mauer empor. Die Flammenwand schoss vom Boden und vom Rammbock in die Höhe, Schreie drangen von der Mauer herab, und brennende Menschen rannten dort wild umher. Ein Krieger versuchte sogar, sich mit einem Sprung in die Tiefe zu retten.
»Bei allen Ahnen!«, rief Nylma, und auch Gaerigar wich entsetzt vor dem zurück, was er auf der Mauer entfesselt hatte. Seine Wut war fort, seine magischen Kräfte ebenfalls, von sich geworfen wie ein Mantel.
»Schützen!«, rief Yargir, und genau in diesem Augenblick riss Gaerigar etwas zur Seite. Etwas Kaltes zischte über ihn hinweg, und als er sich fallen ließ und erneut zu den Zinnen emporstarrte, sah er eine Gestalt auf der Mauer, die zuvor nicht da gewesen war. Ruhig stand sie inmitten des Feuers und sah zu ihm herab. Die Flammen mieden sie.
Im größten Zelt des Wundlagers nahm sich Nuramon der Verletzten an. Die Feldärzte hatten ihm dazu eine junge, aber geschickte Heilerin namens Warelne zur Seite gestellt. Die junge Frau ging ihm zur Hand, wenn er den Kriegern die Schmerzen nahm und sich dann um ihre Wunden kümmerte. Bei ausgestochenen Augen und abgeschlagenen Gliedmaßen konnte auch er nichts weiter tun, als das Überleben zu sichern, und manchmal waren die Arme oder die Beine so stark zerschunden, dass Warelne sie abtrennen und Nuramon den entstandenen Stumpf mit seiner Magie versiegeln musste.
Als Nuramon die ersten Krieger bemerkte, die er bereits am Abend geheilt hatte, wusste er, dass Jasgurs Plan aufging: Seine Magie allein für die Heilung einzusetzen, sorgte dafür, dass die meisten
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