Nuramon
Mund, schaute ihr in die glänzenden Augen und zog sich zurück. Sie folgte ihm mit dem Blick. Da verharrte er und staunte. Ihre Mundwinkel bewegten sich, ihre Lippen wölbten sich zu einem kleinen Lächeln. Sie wandte den Kopf und flüsterte leise: »Nuramon.«
Er strich ihr über die Wange, und sie küsste seine Handfläche. Dann aber verzog sie ihr Gesicht vor Schmerz und legte den Kopf zurück.
»Warte!«, sagte er und legte ihr die Hand in den Nacken.
Sie fasste Nuramon am Handgelenk, und er erschrak. Kaum hatten sich ihre Finger geschlossen, löste sie seinen Griff. »Es ist nur ein steifer Nacken«, hauchte sie. »Die Beine und die Arme sind schwer und brennen. Aber es fühlt sich nach Leben an.« Sie schob sich langsam zu ihm, küsste ihn und fuhr ihm durchs Haar. Sie fasste seinen Kopf bei den Wangen und schaute ihn an. Sie verharrten lange, und Nuramon wurde des Anblicks nicht müde. Er hatte ihre Liebkosungen, ihre wachen Augen und ihr lebhaftes Gesicht vermisst, und all das wiederzuhaben, wühlte ihn auf und trieb ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.
»Versprich mir eines, Nuramon«, flüsterte Daoramu und räusperte sich.
»Alles. Was es auch ist«, sagte er lächelnd.
»Du wirst es bereuen«, entgegnete sie, und er merkte, wie sehr ihm ihre Stimme gefehlt hatte.
Er fuhr ihr übers Schlüsselbein. »Was soll ich dir versprechen?«
»Dass wir keinen Tag mehr getrennt sind. Wo du hingehst, dort gehe auch ich hin.«
»Das sind deine Sorgen?«
»Du willst ins Zwergenreich«, sagte sie. »Und ich werde nicht hier bleiben und mich fragen, ob ich dich je wiedersehe.« In ihrer Miene lag keine Sorge, sondern Erleichterung. »Was immer du dort genau suchst, ich werde dir folgen.«
»Ich suche dort die Erinnerung an mein erstes Leben«, sagte er und erzählte ihr von den versiegelten Pfaden und den beiden Zaubersprüchen. Er hatte Dareen vor dem Abschied noch einige Details entlocken können. »Mit dem kleinen Zauber kann ich die Siegel sehen«, erklärte er. »Mit dem großen Zauber vermag ich sie zu lösen und damit verborgene Albenpfade wieder erscheinen zu lassen. Dareen meint, dass wir dadurch die Magie in alte Bahnen lenken können und die magische Flut vergeht.«
Daoramu nickte. »Und auf dem Weg zu diesen Erinnerungen werde ich an deiner Seite sein. Ich begleite dich in die Zwergenreiche.« In ihrem Blick lag eine liebliche Entschlossenheit, die keinen Widerspruch zuließ.
Nuramon hatte gedacht, ihm stünde ein beschwerlicher Abschied bevor, vielleicht sogar, ehe Daoramu die Herrin über sich selbst gewesen wäre. »Die Reise nach Neu-Aelburin könnte uns das Leben kosten«, sagte er.
Daoramu lächelte beinahe wie Ceren. »Wer einmal tot war, fürchtet das Sterben nicht mehr.« Sie fasste seine Hände und küsste sie.
»Wir werden keinen Tag mehr voneinander getrennt sein«, sagte er, als sie ihm mit ihren Küssen neue Schauer über den Rücken trieb. »Ich verspreche es dir.« Es war wieder eines jener großen Versprechen, die ihn früher in Schwierigkeiten gebracht hatten, aber es kam von Herzen.
Sie küsste ihn mit ihren weichen Lippen. »Ich muss aufstehen«, sagte sie dann. Sie reichte ihm die Hand, quälte sich aus dem Bett auf die Beine und knickte ein.
Nuramon fing sie auf und stützte sie. Da klopfte es an der Tür.
»Herein!«, sagte Daoramu mit rauer Stimme und räusperte sich.
Die Tür öffnete sich, und die Mägde schauten herein.
»Herrin!«, rief Gaeria und stürzte ihnen entgegen. »Was für ein wundervoller Morgen!« Sie fiel Daoramu um den Hals. Die jüngeren Mägde gingen Nuramon zur Hand und stützten sie, zwei von ihnen kamen gar nicht erst herein, sondern liefen den Gang hinab und riefen wie von Sinnen, dass die Prinzessin erwacht sei.
Nuramon lachte. »Du ahnst nicht, was für ein Morgen das werden wird.«
Nerimee kam aus dem Speisesaal und war im Treppenhaus, als sie die aufgeregten und fröhlichen Stimmen vernahm. Sie eilte auf den Nordgang und hörte ihre Mutter, noch ehe sie durch die offene Tür ins Zimmer ihrer Eltern eintrat. Da war sie. Sie trug einen Hausmantel über einem weißen Gewand und saß auf dem Bett. Mit hängenden Schultern und erschöpfter Miene lächelte sie Nuramon an und hielt seine Hand.
Nerimee suchte in ihrer Umarmung Zuflucht. Sie liebte es, wie in ihren Kindestagen die Hand ihrer Mutter in ihrem Haar zu spüren. Alle Mühen und Entbehrungen erwiesen sich nun als richtig.
Erst nach einem Augenblick hatte sie Augen
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