Nuramon
durchgehalten«, flüsterte sie und fasste Nerimees Hand. »Und bei dem, was uns bevorsteht, müssen wir gewiss ähnliche Stärke zeigen.«
Nerimee dachte an den Krieg und an die Reise, die ihren Vater ins verlassene Zwergenreich führen würde. Und doch haftete dem Lächeln ihrer Mutter ein Geheimnis an.
Die Familie gönnte Nuramon und Daoramu ein wenig Zeit allein. So saßen sie auf der Steinbank im Garten hinter dem Palast. Nuramon bemerkte, dass Daoramus Blick immer wieder den Weg zur Birkeneiche suchte, die allmählich ihr grünes Frühlingskleid zeigte. Und jedes Mal nutzte Nuramon die Gelegenheit, Daoramu zu betrachten. Sie wieder an seiner Seite zu haben überwältigte ihn, und er schaute sie an, als sähe er sie zum ersten Mal.
Sie blickten gemeinsam von den Klippen hinunter in die Stadt und über sie hinweg ans Festland, wo die Handelshäuser sich über die Fischerhütten erhoben und sich die Lagerhäuser zwischen den ehemaligen Dörfern reihten. »Beinahe so habe ich mir Yannalur immer vorgestellt«, sagte Daoramu.
Die Flussmündung des Furjes war von Booten übersät, die alle die blaue Fahne Yannadyrs wie an einem Feiertag wehen ließen. Unten in der Unterstadt von Jasbor wimmelte es vor Menschen, die sich gewiss auf das Fest vorbereiteten, das Borugar geben würde.
Daoramu betrachtete alles mit beinahe wehmütiger Miene. Als sie seinen Blick bemerkte, zwinkerte sie. »Du weißt es?«, fragte sie lächelnd.
»Dass du Abschied nimmst?«, sagte er.
»Ja. Ich schaue mir all dies genau an, weil wir bald schon aufbrechen werden.«
»Auf einige Tage oder Wochen kommt es gewiss nicht an«, sagte Nuramon.
»Sicher scheinst du dir aber nicht zu sein.«
»Es könnte jetzt bereits zu spät sein, die magische Flut zu zügeln«, sagte Nuramon. »Die Magie könnte schneller emporwachsen, als ich meine Erinnerung finde.«
»Meine Rettung könnte also alles verdorben haben?«, fragte sie und biss sich auf die Lippen.
Nuramon führte ihre Hand an seinen Mund und küsste sie. »Ein Krieger, der die Schlacht seines Lebens schlägt, kann nicht mit einer beinahe tödlichen Wunde in den Kampf gehen. Wenn das Schicksal sich an ihn knüpft, muss die Wunde zuerst heilen, ehe er in die Schlacht ziehen und den Sieg erringen kann.«
»Und ist die Wunde geheilt?«, fragte sie mit ihrem schelmischen Lächeln.
Er strich ihr über die Wange. »Mehr als das.«
Yendred war nicht überrascht, dass binnen Stunden alles bereit war und die Feier vom Thronsaal bis zum Hof hinausreichte. Die Köche ließen aus den Räucherhallen das Beste heraufbringen, was das Königshaus zu bieten hatte. Mit jeder Stunde kamen neue Gerichte hinzu. Vom Eintopf bis zum Braten, von Teigtaschen bis zu Muscheln.
Yendreds Eltern hätten an ihrem Tisch im Thronsaal bleiben können. Doch seine Mutter regte an, dass die Königsfamilie von Zeit zu Zeit den Platz wechselte, um in die Nähe möglichst vieler Leute zu gelangen. Sie war stets gesellig gewesen, aber er hatte sie nur selten so viel und so laut lachen gehört. Bei all der Freude fragte er sich, was sie dazu sagen würde, dass er auf den Thron verzichten wollte. Sie war ihm gegenüber alles andere als zurückhaltend gewesen, aber mit Lyasani und Salyra hatte sie kaum mehr als ein gelegentliches Lächeln getauscht. Er fürchtete, dass sie heute feierte und ihm morgen sagte, er könne nicht auf den Thron verzichten und müsse sich von einer seiner Geliebten trennen.
Immer wieder hoben die Gäste die Becher und Pokale, um auf diesen oder jenen anzustoßen, auf die Lebenden wie die Toten. So tranken sie auch auf Gaerigar, Yargir und Waragir. Da erstarb das Lächeln auf den Gesichtern seiner Eltern. Und bei jenen, an die Yendred lange nicht mehr gedacht hatte, kroch die Nachdenklichkeit in ihre Mienen – bei Namen wie Muregal, Aswyrun oder Yurna.
»Was ist Yurna geschehen?«, fragte seine Mutter.
»Ein Feldherr König Mirugils ließ ihr den Kopf abschneiden«, antwortete Nuramon und gestand mit ausweichendem Blick, dass er daraufhin den Kopf des Feldherren geholt hatte.
Seine Mutter nickte ernst. Yurna, Nylma und sie hatten früher viel Zeit miteinander verbracht. Der Ausweg aus der Trauer waren all die Geschichten, die sie und Nylma von Yurna zu erzählen wussten. Und so stieg die Heiterkeit wieder empor.
Als die Trinksprüche zahlreicher wurden und drohten, sich auf ihn, den Thronerben, zu richten, beschloss Yendred, sich mit Lyasani und Salyra zurückzuziehen. Sie gingen in den Garten
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