Nuramon
den Kopf. Er führte sie zu Bjoremul, bat sie, ihm ihre Hand zu reichen und fasste seinerseits die Hand des Herzogs. Daoramu spürte, wie ihre Zauberkraft durch Nuramon hindurch in Bjoremuls Körper floss und dort ans Werk ging. Als die Wunde sich schloss und sich blasse Narbenhaut verbreitete, wo die Kralle der Bestie die Hand aufgerissen hatte, nickte Bjoremul anerkennend. »Das tut zwar höllisch weh, aber das habt ihr gut gemacht.«
»Ich habe gar nichts getan«, sagte Daoramu und spürte ein Kribbeln unter ihren Füßen.
»Fühlst du dich geschwächt?«, fragte Nuramon und starrte auf die leuchtenden Lichtadern, die sich über den Boden zogen. »Hast du das Gefühl, Zauberkraft eingebüßt zu haben?« Er schaute auf ihre Hände.
»Nein. Nur ein Kribbeln unter den Füßen«, sagte sie.
»Ist es ein Brennen? Als ob du einen zu langen Marsch auf dich genommen hättest?«
»Nur ein Kitzeln«, sagte sie.
Nuramon schüttelte den Kopf.
»Was?«, fragte sie.
»Wir sind gerade mächtiger geworden. Du verfügst über die Kraft, ich über den Zauber. Du bist die Quelle, ich bin der Fluss.«
Daoramu erstarrte. Sie hatte noch nicht ganz begriffen, was es bedeutete, dass die Magie in ihr strömte, und nun ließ Nuramon es so erscheinen, als wäre sie ihm, was das Zaubern anging, ebenbürtig. Das machte ihr zuerst Angst, aber die Vorstellung, mit ihm gemeinsam Magie zu wirken, brachte sie schließlich trotz all des Leides um sie herum zum Lächeln.
Nachdem Nuramon die überlebenden Gefährten gemeinsam mit Daoramu versorgt hatte, kümmerten sie sich um die beiden Toten. Rawila und Gaerun konnten die Tränen nicht zurückhalten. Weinend holten sie Wirlans und Narlos Mäntel aus den Beuteln und kleideten sie darin. Daoramu wusch ihre Gesichter mit ihrem Trinkwasser, und Nuramon nähte Wirlans Gesichtswunde zu.
»Glaubt ihr wirklich, wir können mit ihnen und Loramu hinauskommen?«, fragte Bjoremul und blickte durch das geborstene Tor auf den Gang hinaus.
Er erntete ärgerliche Blicke von Rawila und Gaerun, und Daoramu sagte: »Willst du sie etwa zurücklassen, damit diese Bestien sie holen?«
Bjoremul zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nicht, ob sie es auf Leichen abgesehen haben. Wir könnten sie hier bestatten.«
»Was redet ihr da?«, fragte Loramu mit schwacher Stimme.
Nuramon wandte sich der Kriegerin zu. Sie wirkte sanft wie ein Kind, das ruhig aus einem langen Schlaf erwachte. Ehe einer von ihnen auf ihre Frage antworten konnte, schaute sie an sich entlang und erblickte den Stumpf. »Wo ist der Rest geblieben?«, fragte sie und lächelte bitter. »Hat es diese Bestie tatsächlich gefressen?«
»Es ist mit der Bestie in Daoramus Zauber verglüht«, sagte Nuramon.
Loramu starrte Daoramu mit großen Augen an.
»Es tut mir leid«, sagte Daoramu.
»Nicht doch«, entgegnete Loramu. »Wenn du dieses Licht warst, hast du mir den Hintern gerettet. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie schaute zu Wirlan und Narlo, dann zu Bjoremul. »Du hast recht. Ihr müsst zurücklassen, was euch daran hindert, nach oben zu kommen.« Sie schaute zu Nuramon auf. »Hast du gefunden, was du gesucht hast?«
Nuramon nickte nur.
Loramu atmete erleichtert aus. »Geht«, sagte sie mit einem Nicken zur Tür. »Ich werde über die beiden wachen.«
Bjoremul schüttelte den Kopf. »Das kommt gar nicht in Frage«, sagte er.
Daoramu nickte und warf Loramu einen ernsten Blick zu. »Ich möchte das Kriegergerede nicht hören«, sagte sie.
Alle Blicke richteten sich auf Nuramon, und er verstand, warum sie bei ihm Rat suchten. Wegen seiner Erinnerung waren sie hergekommen. Und der Preis des Wissens, das er gefunden hatte, war der Tod zweier Gefährten und das Bein seiner Schwertschwester. »Die beiden Siegelzauber, die ich nun gefunden habe, werden wir mit keinem weiteren Blut bezahlen«, sagte er. »Was immer sich uns in den Weg stellt, werden wir fortfegen. Wir werden niemanden hier unten zurücklassen. Nicht einmal unsere Toten.«
Mit zunehmender Sorge beobachtete Daoramu, wie Gaerun und Rawila sich mit der Last ihrer toten Gefährten und sogar mit deren Gepäck abplagten. Auch Nylma, die Loramu auf dem Rücken trug, keuchte unter dem Gewicht. Um ein wenig Last von ihr zu nehmen, trug Bjoremul die Beutel der beiden Kriegerinnen.
Die feinen Sinne, die Daoramu nach dem Zauber besessen hatte, waren eingeschlafen. Sie spürte die Lebenskraft ihrer Gefährten nicht mehr, und die Magie, die über ihr an der Decke floss, war kaum mehr als
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