Nuramon
seine magischen Sinne mithilfe von Daoramus Macht weit ausgesandt hatte, wusste, dass er sich und ihr zu viel zugemutet hatte. »Ich habe mich geirrt«, sagte er. »Ich hielt uns beide für mächtiger, als wir es sind.«
»Wir sind mächtig genug, um hier zu sein«, entgegnete sie, trank einen Schluck Wasser und schaute sich um. »An einem Ort wie diesem.«
Nuramon nickte. »Du bist empfänglich für die Magie. Du nimmst sie und hältst sie fest. Als wäre nicht nur die Macht des Almandins auf dich übergesprungen, sondern auch ein wenig des Orakelsteins.«
Sie lächelte, schaute dann aber zu Nylma und Bjoremul hinüber, die neben Loramu an der Wand saßen und der Schwertfürstin etwas zuflüsterten. Auf dem Weg hatte Nuramons Kampfschwester die Zähne zusammengebissen und scheinbar gelassen auf ihr Schicksal geblickt. Nun aber, da sie in Sicherheit waren, rannen die Tränen. Sie schaute immer wieder zu den Leichen von Wirlan und Narlo hinüber und schüttelte den Kopf. Gaerun und Rawila kümmerten sich um ihre toten Gefährten und bereiteten sie auf ihre letzte Ruhe vor. Sie entkleideten sie und wuschen sie mit dem Wasser, das sie aus dem Brunnen schöpften.
Nachdem Bjoremul und Nylma Loramu zwischen sich genommen hatten und auf den Stufen zur Badehalle verschwunden waren, sagte Daoramu: »Ich erinnere mich noch, dass du mir Loramu vorgestellt hast. Ich lachte, weil sich unsere Namen reimen. Und ich mochte ihr verwegenes Lächeln auf Anhieb.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte den Zauber einen Moment früher entfesselt.«
Nuramon fasste ihre Hände. »Es ist nicht deine Schuld. Deinetwegen sind wir noch am Leben, ob du die Macht nun begreifst oder nicht.«
»Aber war es all das wert?«, fragte sie und wies auf die Leichen von Narlo und Wirlan.
»Wenn die Magie am Ende abflauen kann, weil wir da draußen alles in die Waagschale geworfen haben, dann sage ich: Ja, das ist unser aller Leben wert.«
Daoramu nickte langsam. »Und dennoch«, sagte sie dann. »Wären das unsere Kinder gewesen, hätten wir das Opfer dann auch gebracht?«
Nuramon blickte über die nackten Körper von Wirlan und Narlo, auf denen die Wunden noch klafften. »Vielleicht haben wir dieses Opfer bereits gebracht«, sagte er. »Es mag sein, dass wir an dem unsteten Tor so weit in die Zukunft gesprungen sind, dass wir alle verloren haben, die wir lieben.«
»Das will ich nicht glauben«, sagte Daoramu kopfschüttelnd.
Der Moment des Abschieds war gekommen. Daoramu stand mit den Gefährten auf dem Dach der Zuflucht und schaute auf die beiden Steinhaufen, in denen Narlo und Wirlan begraben waren. Die Steine stammten vom Grund des Beckens in der Badehalle. Alle Worte waren gesprochen, alle Tränen vergossen, und nun wandte sich einer nach dem anderen vom Grab ab und schaute durch die Dunkelheit zu den anderen Refugien hinaus, die wie riesige Barinsteine in der Nacht leuchteten.
»Das ist ein guter Ort«, sagte Loramu. Die Schwertfürstin stützte sich nur auf eine der beiden Krücken, die Nuramon am Morgen ge fertigt hatte. Die andere reichte ihr Gaerun gerade. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich so den Berg hinabkomme«, sagte sie und wich ihren Blicken aus.
»Dafür werden wir sorgen«, entgegnete Nuramon.
Von der Treppe aus schauten sie noch einmal auf die Steinhaufen zurück, und schließlich begaben sie sich hinab in die Halle zu ihren Sachen. Gaerun und Rawila gingen Loramu zur Hand, die mit den Krücken auf der Treppe Schwierigkeiten hatte.
Sie gingen hinüber zum Albenstern, und während Nuramon das Tor öffnete, wandte Daoramu sich noch einmal um und schaute die Halle entlang bis zum Brunnen am anderen Ende. Der Gedanke, das Zwergenreich zu verlassen, ins Tal hinabzusteigen und über die Albenpfade nach Jasbor zurückzukehren, fiel ihr schwer. Sie fürchtete sich vor dem, was sie dort finden würden.
»Ist euch eigentlich klar, dass hier weder Mensch noch Elf je gewesen sind«, sagte Bjoremul. »Vielleicht sind wir die Letzten, die hier den Fuß hineinsetzen.«
»Hoffen wir, dass wir diese Zuflucht nie brauchen werden«, entgegnete Daoramu darauf, dachte an ihre Kinder, ihre Eltern und all die anderen, die sie in Jasbor zurückgelassen hatte. Wenn sie scheiterten und die Welt der Menschen in der Magie unterging, wäre ein Ort wie dieser oder Noroelles Gefängnis ein letztes Refugium. Und allein die Vorstellung, ohne ihre Kinder und all jene, die sie in Yannadyr zurückgelassen hatte, hier leben zu müssen, war
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