Nuramon
geschritten, als der Wachführer ihnen nachrief. »Alvaru!«
Nuramon wandte sich um.
»Stimmt es, dass du auf Zauberwegen wandeln kannst?«
Nuramon legte seine Zügel in Daoramus Hände. »Weiter«, sagte er ihr leise. Während Daoramu Nylma und Yargir folgte, antwortete er dem Wachführer laut: »Es ist die Wahrheit.«
Die Wachen tauschten gefällige Blicke, dann winkten sie ihm zum Abschied. Nuramon winkte zurück, wandte sich um und folgte seinen Gefährten. Kaum waren diese aus dem Blickfeld der Wachen verschwunden, stiegen sie auf die Pferde. Nuramon schaute die Mauer hinauf, aber dort war niemand, der sie hätte zurückhalten können.
»Verschwinden wir!«, flüsterte Daoramu und reichte ihm die Hand, um ihm auf das Pferd zu helfen. Er ergriff und küsste sie. Dann schwang er sich hinter seine Geliebte auf den Rücken des Tieres.
»Ich hoffe, du vertraust mir«, flüsterte Daoramu ihm zu. Noch ehe er antworten konnte, gab sie dem Pferd die Sporen, und gemeinsam ritten sie in die Nacht hinaus.
Daoramu ritt im kühlen Wind dieser Nacht ihrem neuen Leben entgegen, und die Last, die Nuramon im Osten von ihr genommen hatte, als er sie aus dem Kerker in Werisar befreit hatte, konnte sich nicht mit der messen, die nun von ihr abfiel. Mit Nuramons Körper an ihrem Rücken und seinen Armen um ihre Hüften schien es ihr, als hätte sie nicht nur ihre eigene Freiheit wiedererlangt, sondern auch Nuramon vor einem Dienst bewahrt, der ihn in Fesseln gelegt hätte.
Während Daoramu der Straße zwischen den mondbeschienen Feldern durch die Nacht folgte, fühlte sie sich wieder wie die Herrin ihres Schicksals. Daoramus Sehnsüchte eilten ihr durch die Dunkelheit voraus, und sie wünschte sich bereits nach Teredyr; diesmal in die befreite Stadt unten im Tal, in der sie noch nie gewesen war. Dort würde sie in Nuramons Armen liegen. Wie sehr sie sich wünschte, dass die Pferde rasch zu ihren Sehnsüchten aufschließen könnten!
Als sie endlich auf die Kranzstraße hinabkamen und sich unweit zweier Höfe drei großen Findlingen näherten, sprang Yargirs Pferd mit einem Mal nach links zur Seite und lief ins Feld. Daoramu vermutete, dass das Pferd vor einem Tier gescheut hatte, das sich in den Schatten der Felsen verbarg. Sie wollte gleichfalls zur Seite ausweichen, doch da blieb ihr Hengst unvermittelt stehen und stieg wiehernd auf die Hinterbeine. Daoramu rang um Halt und spürte, wie Nuramon seinen Griff um sie löste und damit sein Gewicht von ihr nahm. Er war fort, und das Pferd fing sich wieder. Als sie sich nach Nuramon umsehen wollte, zischte etwas heran und gab ihrem Reittier einen festen Stoß. Das Wiehern geriet zu einem Brüllen, dann stürzte der Hengst zur Seite.
Daoramu ließ die Zügel los und bemühte sich, aus dem Sattel zu entkommen, doch zu einem Sprung reichte es nicht. Sie schlug hart mit der Seite auf die Straße auf, und ihr rechtes Knie brannte vor Schmerz.
Mit zusammengebissenen Zähnen schaute Daoramu sich um. Von Yargir war im Mondschein nichts mehr zu sehen und ebenso wenig von Nuramon. Nylma aber kam neben sie geritten, sprang aus dem Sattel und lief mit gezogener Klinge den Felsen entgegen. Der Schrei eines Mannes ertönte und verging mit einem Gurgeln. Dann war Nylma verschwunden, die Schatten gerieten in Unordnung und wölbten sich wild durcheinander. Hacken und Schreien, Krachen und gelegentlich das Schleifen von Metall hallten durch die Nacht.
Daoramu quälte sich keuchend auf die Beine und führte ihre zitternde Hand an das Schwert, das Nylma ihr gegeben hatte, wagte es aber nicht, die Klinge zu ziehen.
An den Felsen tauchte ein Schatten nach dem anderen ab und verschmolz mit der Nacht. Die Schmerzensschreie der Hinabsinkenden verklangen rasch, mit dem Schwerte abgeschnitten von dieser Welt. Ein stummer Schatten blieb aufrecht stehen. Ein anderer näherte sich Daoramu von der Seite. Sie umschloss den Schwertgriff fester, doch dann erkannte sie, dass der nahende Schatten Nylma war. Zu ihrer Rechten erblickte sie nun Yargir, der an ihr vorüberritt und auf den Wald zugaloppierte. Der eine aufrechte Schatten bei den Felsen, der nun nicht mehr zu sehen war, musste Nuramon gewe sen sein.
»Alles in Ordnung, Daoramu?«, flüsterte Nylma.
»Wo ist Nuramon?«, entgegnete sie.
»Hier bin ich«, sagte er und trat an ihre Seite. Er betrachtete ihre Hand, die zu ihrem schmerzenden Knie gewandert war, und berührte sanft ihr pochendes Bein. Obwohl sie Hosen trug, glaubte sie, seine
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