Nuramon
ich im Palast mein Leben genieße? Soll ich meine Augen vor diesen Dingen verschließen, damit du mich an deiner Seite hast?«
»Das würde ich nicht von dir erwarten«, sagte sie leise und rang mit der Angst, die ihre Lippen beben ließ.
»Aber ich würde es tun«, sagte er mit starrer Miene. »Ich würde es für dich tun, Daoramu. Ich würde andere deinetwegen ihrem Schicksal überlassen.«
Seine Worte entsetzten sie. »Du würdest für mich das Schwert beiseitelegen?«
»Ich würde es tun. Aber wir könnten nicht bleiben, während rings um uns herum andere alles in die Waagschale werfen. Wir müssten fortgehen. Nicht nach Teredyr. Nicht nach Alvarudor. Wir müssten abseits aller Gemeinschaften leben. Denn wo Gemeinschaften sind, liegt auch die Verantwortung.«
»Du legst die Entscheidung also in meine Hände«, sagte sie. »Das ist nicht gerecht.«
»Jeder im Gefüge muss seinen Teil zum Ganzen beitragen. Je höher der Stand im Gefüge, desto größer die Last. Das hast du selbst gesagt.«
Genau das waren ihre Worte gewesen. Sie auszusprechen war leicht, nach ihnen zu leben – darin bestand die Kunst. Sie setzte sich aufs Bett und seufzte. »Ich dachte, ich könnte einen Mittelweg finden, der uns hierherführt und dich zumindest eine Weile vom Krieg fernhält«, flüsterte sie. »Ich habe mich selbst getäuscht.«
Nuramon setzte sich neben sie und fasste ihre Hand, und sie streichelte die seine mit den Fingerspitzen. »Du wirst darin erblühen, die Beraterin deines Vaters zu sein«, sagte er. »Du hast ihm dazu geraten, den Thron zu behalten, weil du ihn für einen guten Fürsten hältst. Und weil du ihm helfen willst, deinen Traum von einer Gemeinschaft zu schaffen, in der der Bauer, der Handwerker und der Gelehrte mehr zählen als der Krieger. Ein Fürstentum, in dem irgendwann aus unseren Opfern Weisheit erwächst und das Schwert nur im Notfall gezogen wird. Aber den Boden, aus dem dieser Traum erwachsen soll, muss dein Vater erst noch erkämpfen.«
Daoramu nickte langsam. »Als ich ihm sagte, er solle die Krone nicht an Helerur abtreten, habe ich ihn auf sein Versprechen eingeschworen, den Osten zu befreien. Wir sind jetzt Teil dieses Versprechens.« Sie lächelte bitter. »Ich habe unser Leben fernab aller Pflichten geliebt, Nuramon. Vielleicht war es ein Fehler herzukommen.«
»Das war es gewiss nicht, Daoramu. Denk an deine Mutter und was es ihr bedeutet, dich hierzuhaben. Und an deinen Vater. Dies kann unser Heim werden, in dem unsere Tochter heranwächst.«
Daoramu lächelte. »Du bist also wirklich bereit, hier mit mir zu leben und dich den Wagnissen zu stellen, die daraus erwachsen?«
»Seit ich den Teredyrern half, hat es mir Glück gebracht, Wagnisse einzugehen.« Er schmunzelte, und sie küsste ihn. Als sie ihre Lippen wieder von seinen löste, sagte sie: »Wirf nicht mehr in die Waagschale, als nötig ist«.
Nuramon wurde zu einem von Borugars Schwertfürsten. Schon am Morgen waren die Papiere gesiegelt und die Kunde verbreitet. Normalerweise wurden die Schwertfürsten im Kriegsfall den Feldherren untergeordnet, und in Friedenszeiten bestimmten Grafen, Vögte oder Stadträte, wer der Erste unter den Waffenträgern sein sollte. Herzöge und Fürsten hielten sich normalerweise nur Schwertfürsten für ihre Leibwache, alles andere überließen sie ihren Feldherren, um die Befehlskette nicht zu stören. Doch Borugar hielt sich mehr als eine Leibwache. Er hatte Jasgur aus seiner alten Grafschaft Doranyr mitgebracht, ihn zum Schwertfürsten ernannt und konnte ihn, wenn es ihm sinnvoll erschien, zum Feldherren einer Schlacht erheben. Und neben Jasgur sollte ihm nun Nuramon zu Diensten sein.
Schon am Tag nach ihrer Ankunft traf Nuramon auf dem Palasthof auf Jasgur. Der Krieger sah hervorragend aus. Er trug eine dunkelgrau getünchte Schuppenrüstung, und durch das sehr kurz geschorene Haar trat sein kantiges Gesicht noch deutlicher hervor.
Er sah offenbar Nuramons Blick und rieb sich über den Kopf. »Eine Wunde«, war alles, was er zu seinem Haar sagte.
Nuramon reichte ihm die Hand. »Es passt zu dir.«
Jasgur schlug ein und wies dann schwungvoll zum Palast zurück. »Ich hab es nicht geglaubt«, sagte er. »Aber als ich Daoramu sah … Glückwunsch, Nuramon!«
Nuramon musterte den Schwertfürsten lächelnd. »Danke«, sagte er und fragte sich, ob Jasgurs Glückwünsche von Herzen kamen. Das Lächeln wirkte aufrichtig auf ihn, und im Blick des Schwertfürsten stand die Freude
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