Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
bleiben und versuchen die Krieger zu befragen, aber die schweigen wie Tote. Manche sagen, die Hälfte aller Elfen hat Kesselstadt schon verlassen.«
Scapa konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Was war da los? Ausgerechnet jetzt, wo wahr-
lich genug in seinem Leben geschah, tauchte irgendein König auf! Die ganze Geschichte erschien ihm vollkommen absurd.
Er erhob sich. Auch Arane stand auf. Als sie los-gingen, schlichen ihnen die anderen murmelnd aus der Halle und durch die Gänge des Fuchsbaus hinterher. Scapa lief die Turmtreppe Rundung um Rundung hinauf. Auf der Sonnenterrasse stützte er sich mit beiden Händen an eine Steinsäule und rang nach Luft.
Der Wind brauste ihnen kühl entgegen und brachte die Wassertropfen am Turmdach zum Zittern. Ihm war, als höre er im Wind verzerrte Schreie und Rufe.
In den Straßen, die sich rings um sie erstreckten, wimmelte es vor grau gekleideten Gestalten. Sie liefen in Häusern ein und aus, waren überall, und hinter ihnen schritten, aufrecht und starr, Männer, Frauen und Kinder.
»Das sind sie«, flüsterte Cev. »Das sind die Grauen Krieger des neuen Königs.«
Eine Windböe heulte um den Turm und riss Scapa den neuen schwarzen Mantel zurück. Aranes Hand umschloss unbemerkt seine Finger.
Die Elfenjungen hinter ihnen verkrampften sich.
Etwas hatte ihre Gesichter erfrieren lassen. Ohne ein Wort drehten sie sich um.
Die Straßenkinder beobachteten bleich vor Schreck, wie die Elfen die Sonnenterrasse verließen, hinabstiegen und aus dem Fuchsbau gingen, um sich den Grauen Kriegern anzuschließen.
Seltsame Dinge gingen in Kesselstadt vor sich.
Dass der Fuchsbau in die Hände der Straßenkinder gefallen war, ging in der allgemeinen Panik vollkommen unter.
Denn die Moorelfen verschwanden reihenweise aus der Stadt. Einen Tag, nachdem die Grauen Krieger des Königs aufgetaucht waren, schienen ganze Stadtviertel wie ausgestorben. Märkte waren nicht mehr da, Häuser standen plötzlich leer. Schausteller, Akrobaten und Flötenspieler entschwanden aus den Straßen, und mit ihnen der Rauchgeruch der elfischen Pfeifen und das Rufen in einer Sprache, die die Menschen nie verstanden hatten. Die Moorelfen, die verbannt waren und darum nicht mehr der Macht ihres Königs unterstanden, verließen Kesselstadt ebenfalls in Scharen; Angst und schreckliche Gerüchte gingen um, man munkelte nämlich, dass bald auch die Verstoßenen von den Grauen Kriegern geholt würden.
Je weniger Moorelfen in Kesselstadt zurückblieben, desto zahlreicher schienen die grau gekleideten Krieger des Königs zu werden. Sie bewegten sich starr und langsam wie in einem merkwürdigen Rausch. Manche behaupteten, die Krieger könnten nicht sprechen, aber Scapa wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte sie einmal sprechen gehört, in der raschen Sprache ihres Volkes, knapp und seltsam gehetzt, als fürchteten sie etwas.
Die Gerüchteküche brodelte. Man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand, der Fürst sei längst tot
und Kesselstadt in der Hand des geheimnisvollen Königs: Auf Marktplätzen hielten Gesandte der Freien Elfen Reden und versuchten den wenigen Moorelfen, die in Kesselstadt verblieben waren, Mut zu machen.
»Eure Brüder«, rief einer, »sind bei euch! Die Krone Elyor der Freien Elfen ist in das magische Messer verwandelt worden, das den unverwundbaren Träger Elrysjars töten kann! Die Freien Elfen der Dunklen Wälder werden bald einschreiten! Kein Mensch wird unser Volk zugrunde richten!«
Der Gesandte der Freien Elfen predigte weiter, bis eine Schar Grauer Krieger kam. Die Zuhörer rannten erschrocken davon, als sie den Gesandten von seinem Podest zerrten.
»Wo bringen sie ihn hin?«, fragte Arane leise.
Ein Moorelf stand mit erschrockenen Augen neben ihnen und rührte sich nicht. »Das, das muss der Kö-
nig sein! Er will das magische Messer finden und zerstören … Unser Volk ist dem Untergang geweiht.
Wir gehen unter. Wir verschwinden vom Gesicht der Welt …«
Als der Elf zu weinen begann, liefen Scapa und Arane fort. Womöglich würden sie den Redner bald auf der Brücke von Grejonn wiedersehen – oder besser gesagt, seinen Kopf. Aber in diesen Tagen verschwanden Männer und Frauen auch spurlos, und nicht einmal der Tod war mehr gewiss.
Allmählich glaubten Scapa und Arane, dass der Fürst beseitigt worden war. Seine Soldaten hatten
sich aufgelöst. Für Recht und Ordnung sorgten nun die Grauen Krieger des geheimnisvollen Königs, und zwar noch weniger als die Soldaten
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