Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
sich auf die Seite und betrachtete die dunklen Umrisse ihrer Gestalt. »Arane, was willst du? Was willst du bloß? Der Fuchsbau gehört uns. Die Grauen Krieger und dieser Elfenkö-
nig haben nichts mit uns zu tun, schon gar nicht mit unseren Träumen. Du bist eine Königin, Arane! Du lebst zumindest wie eine. Dreimal täglich Essen, verflucht! Kamine, Speisehallen, ein Turm! Sag mir, wieso du trotzdem so bist. So … unzufrieden.«
Arane schmiegte sich an Scapa und schloss die Arme um ihn, als müsse sie ihn vor der Finsternis des Zimmers beschützen. Er verstand es nicht. Er verstand gar nichts! Er konnte ihre Gedanken und ihre Worte wiederholen, ja, aber er fühlte sie nicht wie sie. Scapa wollte das Glück. Aber sie, Arane, wollte noch viel mehr – sie wollte das, worauf es ihr wirklich ankam …
»Ich verheimliche dir nichts, Scapa«, flüsterte sie und schloss die Augen. Arane drückte ihn fest, fast als fürchte sie, er könne aufstehen und fortgehen.
»Ich will nur niemals etwas verlieren. Ich will immer mehr. Das heißt es doch, zu leben.«
Scapa träumte in dieser Nacht. Es war einer jener Träume, die sich ganz und gar echt anfühlen und bei denen man nicht das geringste Bewusstsein dafür hat, dass man schläft.
Scapa rennt durch tiefe Moore. Klauenartige Äste und Sumpfgewächs greifen nach ihm, aber er kann nicht anhalten. Er rennt mit wachsender Angst. Die Nebel werden immer dichter, rauben ihm die Sicht und machen seine Glieder schwer. Unendlich langsam kommt er voran und schwitzt dabei vor Anstrengung, bis ihm Rinnsale den Rücken hinablaufen. Aber er ist nicht allein. Da läuft jemand neben ihm, ein vertrauter Schatten, der ihn liebt und kennt und doch nicht versteht. Arane ist es nicht.
Da lichten sich die flimmernden Nebel und reißen auf wie Vorhänge. Unter ihm ragt ein mächtiges Ge-bäude aus der Erde, wie eine Pfeilspitze sieht es aus.
Und plötzlich steht Arane neben ihm. Das riesige Bauwerk schrumpft und schrumpft, bis es in Aranes ausgestreckte Hand passt. Es ist ein Steinsplitter. Ein Messer. Scapa gibt Arane den Arm, obwohl er es nicht möchte; er muss. Sie ergreift seinen Arm, hebt das Messer und schlitzt ihm die Pulsadern auf. Als das Messer sein Blut berührt, schmilzt es fort. Er will schreien, aber kein Laut kommt ihm über die Lippen.
»Jetzt sind wir frei«, haucht Arane.
Scapa blinzelte. Ockergelbes Sonnenlicht strömte durch die Fenster und tastete sich mit schmalen Fingern durch den Bettvorhang. Verwirrt richtete er sich
auf. Sein Hemd war durchgeschwitzt. Seine Zunge klebte trocken am Gaumen.
»Arane«, murmelte er rau. »Ich, ich habe ge-träumt, von dir und mir, und du hast –« Erst jetzt merkte er, dass er allein im Bett lag.
Er stand auf. Eilig schlüpfte er in Hose und Wams und in seine weichen Stoffschuhe. Dann lief er aus dem Zimmer und die Wendeltreppe zum Turm hinauf.
Arane stand wie erwartet auf der Terrasse und blickte dem Sonnenlicht entgegen, das die Hausdä-
cher überflutete, weil es bereits Mittagszeit war. Die Geräusche der Stadt waren erwacht, es klapperte und klirrte, Stimmen und Hundegebell kamen von überall, doch das alles klang nicht mehr wie früher. Seit dem Erscheinen der Grauen Krieger schien die Stadt um einiges leiser geworden zu sein, die Straßen wirkten lebloser – vielleicht, weil es weniger Ob-dachlose gab. Jetzt suchten sie alle in den leer stehenden Häusern Schutz vor der Sommerhitze.
Scapa lehnte sich gegenüber von Arane an eine Steinsäule und verschränkte die Arme. Blinzelnd blickte er auf die Stadt. Die gelben Hausdächer flimmerten in der Hitze, Wäscheleinen, die sich von Wand zu Wand spannten, leuchteten im Licht wie Spinnenfäden.
»Arane, ich muss dir etwas erzählen. Heute Nacht –«
»Ich habe einen Traum gehabt«, unterbrach ihn Arane. Ein merkwürdiges Lächeln lag auf ihrem Gesicht. »Eine … Vision.«
Er starrte sie groß an. Mittlerweile hatte Scapa schon so manche Eigenheit ihres Wesens kennen gelernt. Aber Visionen kamen selbst bei Arane äußerst selten vor. Er überwand sich, seinen eigenen Traum beiseite zu schieben und erst ihr zuzuhören.
»Wovon?«, erkundigte er sich, ihrer Erwartung gemäß.
Ihr rätselhaftes Lächeln wurde breiter. »Du hast doch von diesem magischen Messer gehört, das den unverwundbaren König töten kann?«
Scapa nickte langsam.
»Und es heißt doch, dass der König alles daran setzt, dieses Messer zu finden und zu zerstören, weil es ihn töten kann.«
Scapa
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