Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
eine Faust in den Magen.
Eine zweite traf ihn auf die Wange.
»Scapa! Lasst ihn in Ruhe! Nein!«
Scapa schwanden die Sinne. Der Schmerz der Schläge und Tritte ließ nach, als er auf den Boden fiel. Aber die Verzweiflung … Die Verzweiflung folgte ihm bis in die Bewusstlosigkeit. Arane war fort.
Für immer.
Das Ende der Legende
Scapa erwachte in irgendeiner abgelegenen Gasse, als die Nacht fast vorüber war. An seinen Handge-lenken waren blaue und grüne Abdrücke von den Kriegern, die ihn hergeschleift hatten. Er schmeckte Blut im Mund. Langsam stand er auf. Sandstaub rieselte ihm aus den Haaren. Zwischen den engen Häusern war vom Himmel nur ein Spalt zu sehen. Die Sterne leuchteten blass in der dünner werdenden Dunkelheit.
Scapa ging. Er wusste nicht, wohin seine Füße ihn trugen. Er schlich durch die stille, schlafende Stadt und erreichte den Fuchsbau, als das erste Morgenlicht auf die Ruinen fiel. Er betrat seine Zimmer, aber sie waren alle leer. Wie stumme Gesichter sahen sie ihn an, wie Bilder aus der Vergangenheit, die sich nicht bewegen konnten. Alles lag so unberührt vor ihm, als habe ohne ihn die Zeit im Fuchsbau stillge-standen. Arane war nicht da.
Sie war auch nicht vor dem Wachhaus, als Scapa erneut hinüberschlich. Unbewegt hockte das klotzige Gebäude da, während der Tag aufzog, und stierte ihn aus seinen Fensterschlitzen an. Es war, als sei hier nie etwas geschehen, nur der staubige Boden zeigte noch die Fußspuren von gestern. Nichts deutete darauf hin, dass Arane verschleppt worden war. Nichts darauf, dass sie je existiert hatte.
Scapa wurde zum Geist.
Arane, Arane – das war alles, woran er denken konnte. Tage und Nächte verbrachte er vor dem Wachhaus, lief auf und ab und betete, sie möge wieder auftauchen. Doch je länger er wartete, desto sicherer wurde er sich, dass sie niemals zurückkehren würde.
Irgendwann rang er sich dazu durch, die Brücke von Grejonn aufzusuchen. Wie ein geprügelter Hund schlich er an den toten Verbrechern vorbei, suchte mit dem Blick die aufgestellten Köpfe ab, war bei jedem fremden Gesicht erleichtert, dass es nicht Arane war, und verzweifelt, weil er von ihr nichts finden konnte.
Scapa befragte die Straßenkinder, die Wäscherinnen, die Wirte und Händler und Diebe. Doch wer bemerkte schon das Verschwinden eines Mädchens von der Straße, jetzt, während die Bandenkriege wü-
teten und die Grauen Krieger Tausende verschlepp-ten und ermordeten? Aranes Name ging unter in den Wirren der aufschäumenden Stadt.
Scapa gab sie noch nicht auf. Er durchsuchte die finstersten Winkel von Kesselstadt, fischte in den
übel riechendsten Kanälen, und je wahnsinniger er nach Arane suchte, desto öfter stieß er auf den Tod.
Der Tod umgab ihn. Er folgte ihm wie ein Schatten, sein fauligsüßer Atem brannte sich in seine Nase.
Aber Arane fand er nirgends, keinen Hinweis auf sie, keinen Stofffetzen von ihr, kein einziges Zeichen.
Wenn Scapa schlaflos durch den Fuchsbau strich, stellte er sich vor, was mit ihr geschah. Grässliche Bilder und Visionen trieben ihn um, sodass er vor Verzweiflung gegen die Wände schlug und alles auf der Welt, sich selbst und die Grauen Krieger zu hassen begann.
Lange stand er in der großen Halle des Fuchsbaus und starrte die beiden Stühle auf der Empore an, auf denen er nie wieder mit Arane sitzen würde. Er hörte kaum, wie Fesco sich näherte.
»Scapa?«, fragte Fesco leise.
Er regte sich nicht.
»Scapa … Scapa!«
Scapa warf ihm einen glühenden Blick über die Schulter zu. Fesco erschrak sichtlich, als er seinem Freund ins Gesicht sah, und wäre fast einen Schritt zurückgestolpert. »Was?«, zischte Scapa.
Fesco musste angesichts von Scapas rot umränderten Augen und seinem bleichen Gesicht schwer schlucken.
»Scapa … was geschieht bloß mit dir?«, flüsterte er.
»Was geschieht mit mir?«, wiederholte Scapa dumpf. Geschehen – was war schon geschehen? Arane war verschwunden. Nichts sonst. Nichts hatte sich verändert. Noch verhöhnte das Leben die Menschen,
die so armselig um ihr Glück strampelten. Verhöhnte ihn, Scapa … Wut packte ihn, die letzte verzweifelte Wut, die in ihm steckte.
»Es ist nichts geschehen! Die Sonne scheint noch und der Mond leuchtet in der Nacht! Und die Menschen schreien auf den Straßen – hörst du sie denn nicht?« Er rannte auf die Wand der Halle zu und begann mit dem Ellbogen gegen die alten Steine zu schlagen. Die Mauer begann zu bröckeln.
»Scapa …
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