Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
war über ihr. Er hielt ihren Arm fest gepackt, den anderen Arm umklammerte Fesco.
»Nill – Nill, komm hoch! Komm! Stütz dich mit den Füßen ab!«
Nill strampelte panisch durch die Luft, dann stie-
ßen ihre Füße gegen die Felswand. Sie stemmte sich in die Höhe, so gut es ging, während Scapa und Fesco an ihren Armen zogen. Nill reckte sich, mit dem Oberkörper konnte sie sich fast wieder über den Vorsprung beugen. Etwas sirrte durch die Luft.
Ein gellender Schrei ertönte – dann ließ Fesco sie los und fiel zurück. Augenblicklich stürzte Nill, sie schrie auf – und ein Ruck ging ihr durch Arm und Schulter, als Scapa sie festhielt. Ihr Quersack fiel ihr von der anderen Schulter und sie hörte das Flattern des Stoffes, als er in der Tiefe verschwand.
Dann baumelte sie am felsigen Abgrund, beide Beine und einen Arm frei in der Luft, während Scapa wilde Flüche ausstieß und zu Fesco zurückzublicken versuchte, der wie am Spieß schrie.
Mit pochenden Schläfen starrte sie Scapa an.
Schweiß glänzte ihm auf dem Gesicht. Unerträglich langsam rutschten seine Finger ab. Nill fasste mit der freien Hand in ihre Rocktasche und zog den Steindorn hervor. Scapa erkannte im Bruchteil einer Sekunde, was sie vorhatte.
»Nein!«, rief er. »NEIN!«
Er keuchte, packte sie so fest er konnte, beugte sich über den Abgrund, dass er selbst um ein Haar abrutschte, krallte die Finger in ihren Ärmel, hielt sie, hielt sie.
»Nimm den Steindorn«, flüsterte Nill. Sie hörte sich selbst kaum. Steine bröckelten unter Scapas Armen und fielen Nill gegen die Brust.
Er würde sie nicht mehr hochziehen können. Er würde sie nicht mehr halten können.
Es war aus.
Mit letzter Verzweiflung schwang sie die freie Hand in die Höhe, um den Steindorn in Sicherheit zu bringen.
In diesem Augenblick packte jemand ihr Handgelenk. Vor Schreck ließ sie beinahe den Steindorn los
– über ihr tauchte Kaveh auf.
Er ergriff ihren Arm und zog. Zusammen gelang es den beiden Jungen, Nill hoch zu zerren, und einen Moment später rollte sie sich auf den Boden, hustete
und rang nach Atem und tastete nach ihrem Hals, wo die Angst ihr fast die Luft abgeschnürt hatte.
»Nill«, keuchte Scapa und beugte sich zu ihr.
»Bist –«
Kaveh stieß ihn unsanft zur Seite. »Alles in Ordnung? Bei allen Geistern, Nill, geht es dir gut?« Der Prinz der Freien Elfen schüttelte sie vorsichtig am Oberarm, so als wolle er sichergehen, dass sie noch ganz war.
Nill gelang ein zittriges Nicken. »Wo«, brachte sie mit weicher Stimme hervor, »wo sind die Grauen Krieger?«
Inzwischen war nicht nur Kaveh bei ihnen angekommen; auch die restlichen Elfenritter standen allem Anschein nach unversehrt bei ihnen.
»Sie sind umgekehrt, zurück in die Wälder. Von da aus dauert es nicht lange, bis sie hier sind«, sagte Kaveh.
Benommen fühlte Nill nach ihrer Schulter. »Ich habe meinen Quersack verloren.«
»Das ist egal. Steck den Steindorn ein.« Kaveh half ihr auf die Beine. Dann wandten sie sich um und wurden erst jetzt auf Fesco aufmerksam. Der Dieb lag schluchzend auf dem Boden. Scapa beugte sich tief über ihn und zerrte an seinem Wams.
»Ist er verletzt?«, fragte Nill wie betäubt. Weder Scapa noch Fesco antworteten. Schließlich beugte sich Scapa zurück, damit alle den Pfeil sehen konnten. Fesco keuchte unter den erschrockenen Blicken der Gefährten.
Mit beiden Händen ergriff Scapa das Geschoss.
Fesco hatte schon die Augen zugekniffen, als komme der Schmerz in einer großen, grässlichen Welle. Und langsam zog Scapa den Pfeil hervor.
Fesco spannte jeden Muskel seines Körpers an, und auch die Gefährten machten sich auf einen Schmerzensschrei gefasst; aber der kam nicht. Und Fesco war wohl der Erstaunteste von allen.
Nur ein leises Stöhnen glitt ihm über die Lippen, als Scapa den Pfeil unter Fescos Achselhöhle hervor-zog. Einen Augenblick starrten sie das Geschoss verwundert an. Ein winziges Bluttröpfchen zog sich über die Ränder der Eisenspitze, die Fescos Haut beim Durchbohren seines Wamses gestreift hatte.
Fesco richtete sich auf, besah den Pfeil, dann die Schramme an der Innenseite seines Oberarms, sein aufgeschnittenes Wams, den Pfeil und wieder die Schramme. »Das, das ist einfach … hahaha, haha
…«
Auch Nill spürte, wie sich ein Lächeln der Erleichterung auf ihr Gesicht stahl, so fürchterlich war die Angst, die man um sein Leben haben konnte.
»Los jetzt, wir haben keine Zeit zu verschwenden«, sagte Kaveh, dem
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