Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
Fescos Panik anscheinend herzlich egal war, und deutete voraus. »Das nächste Mal zielen die Grauen Krieger genauer.«
Fesco und Scapa standen auf und folgten den Elfen im Eilschritt. Obgleich Scapa keine Erleichterung über den daneben gegangenen Pfeil zeigte, merkte Nill, dass er vor Sorge bleicher geworden war. Auch
wenn er sich selbst versteckt, dachte sie, er ist hinter seiner Maske doch ein normaler Junge … Und das schien Nill fast so unglaublich wie der Pfeil, der Fesco um ein paar Zentimeter verfehlt hatte.
Maferis, der Verstoßene
Sie rannten das letzte Stück am Abgrund, bis sie wieder den Wald erreichten und in die schützenden Schatten der Bäume tauchten. Nill spürte bereits ein Stechen in den Seiten, aber sie machten keine Rast, im Gegenteil; die Furcht trieb sie zu einem immer rascheren Tempo an.
Bald umgab sie nur noch der flüsternde Wald. Es ging bergauf, sie zogen sich an Grasbüscheln, Wurzeln und Gebüsch die steilen Hänge hoch und stolperten durch dunkle Täler. Irgendwo in der Ferne erklang Pferdewiehern.
In ihrer Hast merkten sie kaum, wie es dunkelte.
Erst als die Nacht plötzlich da war, ihren schwarzen Mantel über sie breitete und ein Weiterkommen verhinderte, suchten sie bei einem Felsen Unterschlupf.
Die Elfenritter teilten ihre Rationen mit Nill, die ja nichts mehr zu essen hatte. Sie sprachen nicht miteinander, wagten nicht einmal zu flüstern, und als jeder seine Portion verzehrt hatte, legten sich die Ge-fährten nieder und schliefen ein. Hin und wieder bebte die Erde unter ihnen vor preschenden Hufen.
Zwei Tage verstrichen auf diese Weise. Die Ge-fährten brachen bei der Morgendämmerung auf und
hetzten bei Sonnenuntergang ihren eigenen Schatten nach. Sie machten keine Rast, liefen geduckt und schnell und ließen sich flach auf den Boden sinken, wenn sie in der Nähe die Grauen Krieger durch den Wald preschen sahen. Es mussten mehrere Reitertrosse sein, die die Gebirge durchstreiften.
Aber wieso? So viel Aufwand, nur weil sie an Kesselstadts Toren verdächtig erschienen waren?
Zum Grübeln blieb keine Zeit, und selbst wenn sie den Grund herausgefunden hätten, gegen die Grauen Krieger hätte es ihnen nichts genützt. Nichts half ihnen, nur die Morgennebel, Brunos wachsame Nase und die schweigenden, schützenden Bäume.
Es wurde kühler. Als Nill am dritten Morgen erwachte, war ihr Mantel von einem Netz aus glitzern-dem Frost überzogen. Von den Zehen bis hinter die Ohren fühlte sie sich feucht und klamm und wie mit dem eisigen Schweiß eines Alptraums beklebt.
Und ein Alptraum stand ihnen tatsächlich bevor …
Er kam in Gestalt weißer Flocken. Erst regnete es und von jedem Ast und Blatt klatschten kalte Tropfen auf sie herab. Als die Gefährten höher in die Gebirge kamen, wurde der Regen fester und verwandelte sich in wässrigen Schnee.
Es war schrecklich kalt, zumal Nill nicht einmal mehr eine Decke hatte. In den Nächten wachte sie zitternd auf, weil sie fror oder weil sie das Tröpfeln im Wald für herankommende Pferdehufe hielt.
Aber die Grauen Krieger sahen sie nur noch einmal in der Abenddämmerung: eine Reihe blasser Ge-
stalten, die hinter den nass glänzenden Bäumen mehr wie Schatten als wie echte Wesen wirkten. Danach tauchten sie nicht mehr auf. Womöglich trauten sie den Gefährten nicht zu, weiter hinauf zu den Gipfeln der Berge zu flüchten. Die Grauen Krieger mussten wissen, wie aussichtslos es war, sich dort oben zu verstecken. Darum warteten sie lieber unten, bis Käl-te und Hunger die Gesuchten zurücktrieben.
Aber Kaveh schien ans Umkehren nicht zu denken.
Dass ausgerechnet die Berge sie besiegen würden und nicht die Weile der Grauen Krieger, war zu absurd.
Die Wälder veränderten sich, als der Schnee wie leichte Daunenfedern auf das Land niederfiel. Enger rückten die dunklen Tannen und Fichten zusammen und saßen geduckt unter ihren Schneehauben. Das Treiben der Flocken trübte jedes Sonnenlicht und im Schneegestöber versanken die Gebirge in gräulichem Dämmer. Ob Tag war, ob Nacht, ob Morgen oder Abend … das spürten die Gefährten bald nur noch am Hunger und der Erschöpfung.
Das Wasser war ihnen bald zur Neige gegangen.
Sie nahmen Schnee in den Mund und schmolzen ihn auf der Zunge, bis die Kälte ihre Lippen blau färbte.
Ihr Brot gefror, die Wurzelknollen wurden so hart, als hätte man sie gerade aus dem vereisten Winter-boden gekratzt.
Mehr als alle anderen litten Scapa und Fesco. Die beiden Jungen husteten bald,
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