Nybbas Nächte
dachten die anderen Dämonen, dass sie es konnte. Menschen gegenüber war sie wehrlos.
„Halt dich da raus.“ Er versuchte, ihr seinen Arm zu entreißen, doch sie rückte näher, griff an seine Hüfte und fasste direkt in die Schussverletzung. Es gelang ihm nicht, den kurzen Schmerzlaut zu unterdrücken.
„Du blutest ja.“
Sie betrachtete erschrocken ihre Finger, stieß angestrengt Luft aus und lehnte ihre Stirn gegen seinen Oberarm. Ihre zwiespältigen Gefühle straften die vertrauensvolle Geste Lügen. Sie verwirrten ihn.
„Komm schon“, bat sie leise. „Lass uns nach der Verletzung sehen. Hör endlich auf. Das alles macht mir Angst. Ich ertrage es nicht, dich so zu sehen. Du machst mir eine ganz beschissene Angst.“
Er ließ den Ilyan los und fuhr so jäh herum, dass Joana ins Taumeln geriet. Die Wut brannte in ihm, als er beide stehen ließ und zur Tür stürmte. Sie verlangte Unmögliches. Nach allem, was passiert war, wollte er nicht kämpfen, nein, er musste es. Es bebte in ihm. Er war im Recht!
Doch gegen Joana zu kämpfen, kam nicht infrage. Jeder weitere Schlag hätte unweigerlich auch sie getroffen, tief in ihrem Inneren. Sie wusste das und nutzte seine Schwäche. Er verließ das Zimmer, ignorierte ihre Rufe. Die Tür schlug er derart heftig hinter sich zu, dass die Wucht sie wieder aufwarf. Gut so, er hätte sie auch nicht mit dem Ilyan allein gelassen. Er zwang sich zum Stehenbleiben und brachte sich unter Kontrolle.
Das war es also, was sie so schockiert hatte. Nicht die Killer. Nein, Killer ließen jemanden wie Joana kalt. Nicht der Körper des Nybbas, den fand sie nur abscheulich, weshalb er ihn kaum mehr hinausließ. Sein wahres Wesen war es, das sie entsetzte. Ganz allein er, und alles, was er tatsächlich darstellte.
Der Zorn über diese Tatsache brannte nur intensiver, da Nicholas nichts und niemanden fand, auf den er ihn projizieren konnte. Wer trug Schuld daran? Er selbst? Joana? Womöglich Lorenna, die den Nybbas erschaffen hatte, doch die war längst tot. Sie zu hassen würde ihm nichts mehr geben.
Plötzlich hörte er Joana schluchzen und schoss ins Wohnzimmer, bereit, Elias seine verfluchten Federn einzeln auszureißen, wenn er sie angefasst hatte. Doch der Ilyan stand im hinteren Teil des Raumes. Joanazuckte bei Nicholas’ plötzlichem Auftauchen zusammen und unterdrückte einen Schrei. Sie kniete neben der Tür inmitten des Durcheinanders aus Kleidung, Büchern und CDs. Offenbar hatten die Dreckskerle ihre Taschen durchwühlt und dabei nichts verschont. Sie hielt ein zerfetztes Buch auf dem Schoß, es bebte in ihren Händen.
„Jo?“ Er versuchte es sanft, doch seine Stimme klang brutal, und sie schien sich emotional vor dem Kose-namen zu ducken.
„Lass mich einen Moment allein.“
Es gab ihm einen Stich, dass sie ihn nicht sehen wollte, und einen noch viel schmerzhafteren, da sie Elias nicht wegschickte.
„Gut, aber nur kurz“, antwortete er kühl. „Wir brechen auf, so schnell es geht. Ich bereite alles vor. Elias?“ Nicholas ließ sich zu keinem Blick in die Richtung des Ilyans herab. „Ich habe eine Aufgabe für dich, du Vogel. Flatter ab.“
5
J
oana hätte die letzten Stunden in ihrem Haus in Portugal gern aus ihrer Erinnerung gelöscht. Oder weggewischt, wie einen Fettfleck vom Fernsehbildschirm, den man im Moment des Entfernens bereits vergessen hat. Leider führt ebendieser Wunsch nach Vergessen meist dazu, dass sich Erinnerungen besonders tief ins Gedächtnis ätzen.
Die folgenden Tage waren kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Ablenkungsmanövern. Nur nicht den Gedanken zulassen, dass es sich um Flucht handelte. Nicht daran denken, dass es ein Dämon war, der an ihrer Seite floh. Nicholas hatte eine Gasleitung manipuliert, da ein heftiger Brand die einfachste und schnellste Möglichkeit war, die Leichen zu entsorgen und Kampfspuren zu verwischen.
Die Explosion war noch in mehreren Kilometern Entfernung zu spüren gewesen, wo Joana wartete. Für die portugiesische Polizei war es ein misslungenes Attentat, bei dem nicht die Hausbewohner umgekommen waren, sondern die Attentäter. Auf dem Revier erklärte Nicholas das Ganze damit, dass er ein Aussteiger einer fanatischen Motorradgang war, und man an ihm Rache nehmen wollte. Zeugen, die eine Gruppe randalierender Rocker in Loulé gesehen hatten, untermauerten die Aussage. Ob man ihm glaubte oder er mental nachhalf, war Joana unklar. Auf jeden Fall hatten die Beamten Verständnis, dass er seine
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