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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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hatte sich nie die Frage erlaubt, ob sie unter abweichenden Umständen anders entschieden hätte.
    Sie trat ans Fenster und sah hinaus. Das Hotel lag in einer schmalen Gasse, zu beiden Seiten drängten sich in Pastellfarben getünchte Häuser mit den typischen weiß umrahmten Fenstern dicht aneinander. Autos bahnten sich langsam ihre Wege und wichen vergnügungssüchtigen Passanten aus, die sorglos über die Straße schlenderten, weil sie auf der gegenüberliegenden Seite etwas Interessantes entdeckten. Die Menschen verschwanden unter den bunten Markisen, tauchten wieder auf, huschten unter die nächste. Sie spazierten von Rosa nach Hellblau, von Bar zu Restaurant, von Restaurant zu Diskothek, von Hellblau zu Mintgrün und wieder zurück in eine Bar. Junge Frauen drehten übermütig Pirouetten vor den leuchtenden Augen ihrer Begleiter. Flirteten. Lachten.
    Joana wäre zur Ablenkung ebenfalls gern ausgegangen, doch Nicholas würde erst zurückkommen, wenn sie zu müde war. In den vergangenen Tagen blieb er immer länger weg. Normalerweise war es ihr recht. Es war schwer, seine Anwesenheit – denn als Nähe konnte sie es nicht mehr bezeichnen – zu ertragen, wenn diese so widersprüchliche Gefühle wachrief.
    „Ich fürchte mich vor dir“, sprach etwas in ihrem Herzen. „Ich liebe dich, selbst für deine Grausamkeiten. Und fürchte mich vor mir selbst.“
    Als sie spürte, dass es in ihren Augen brannte, ging sie ins Bad, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche, wo ihre Tränen unsichtbar blieben.
    Sie hatte bereits geschlafen, als Nicholas zurückkehrte. Reglos blieb sie liegen, die Augen geschlossen. An den Geräuschen hörte sie, dass er im Bad verschwand und schließlich zum Bett kam. Er seufzte und ließ sich neben ihr nieder, ohne sich zuzudecken. Vermutlich hatte er sich nicht einmal ausgezogen; fast als wollte er gleich wieder gehen. Das Zimmer blieb dunkel, doch von einer nahen Straßenlaterne drang so viel Licht durchs Fenster, dass Joana etwas sehen konnte. Eine Weile spürte sie seine Blicke im Rücken, dann spielte er mit einer ihrer noch feuchten Haarsträhnen. Sie wollte so gern mit ihm reden, doch fand keine Worte.
    „Du kannst irgendetwas sagen“, flüsterte er. „Mir ist egal, was.“
    Innerlich zuckte Joana zusammen. „Liest du neuerdings meine Gedanken? Warst du auf einer Fortbildung für dämonische Fähigkeiten?“
    „Nein.“ Er lachte nicht. „Ich spüre deine Unsicherheit. Wenn du schläfst, verströmst du andere Gefühle.“
    Was ihr Unterbewusstsein ihm nachts offenbarte, wollte sie lieber nicht wissen. Es war kein angenehmer Gedanke, jede Nacht völlig entblößt neben ihm zu liegen.
    Nun lachte er doch, wenn auch leise. „Keine Angst. Wenn Menschen schlafen, spüre ich alles und nichts in ihren Emotionen. Im Schlaf etwas klar herauszuwittern, wäre die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.“ Er rückte näher, sodass sein Gesicht in ihrem Haar vergraben lag. „Deine Träume gehören dir.“
    Sie dachte, sich unter der Dusche hinreichend ausgeweint zu haben, aber nun schwammen ihre Augen schon wieder. Beim angestrengten Versuch, sowohl ihre Gefühle zu verbergen, als auch die Tränen zu unterdrücken, hielt sie die Luft an. Er verspannte sich, sie spürte es an der winzigen Stelle, wo sich ihre Körper berührten.
    „Ich will dir erklären, wie meine Welt funktioniert“, sagte er. Es klang belanglos, aber das war es nicht und sie lauschte auf jedes Wort. „Du machst einen Fehler und schon hetzt dir jemand hinterher, dem das nicht passt. Er wird dich schnell bekommen, sehr schnell, denn du bist nicht feige. Du läufst nicht weg. Die Angst vor Konfrontation ist winzig im Vergleich zum Schmerz der Schande, den du spürst, wenn du wegrennst wie ein Hase.“ Er sprach sanft, sein Atem streifte warm ihren Nacken, aber an einem Unterton erkannte Joana, dass er dagegen ankämpfte, die Zähne zu fletschen. „Du wirst gefunden und zahlst den Preis für deinen Fehler. In manchen Fällen bist du hinterher tot. In anderen Fällen bist du im Recht, weil der andere tot ist. In jedem Fall ist die Sache dann erledigt, soweit niemand hinter dem anderen stand. Ansonsten geht das Ganze von vorne los.“
    „Hast du schon viele solche Fehler gemacht?“
    „Du bist der erste.“
    Nun war es Joana, die die Zähne aufeinanderschlug. Das hatte gesessen. „Du betrachtest mich als Fehler?“
    „Soll ich lügen?“
    Seinen Worten zum Trotz strich er zart über ihren Oberarm. Natürlich hatte

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