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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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den Schoß. Ein langer, breiter Schal, zusammengestrickt aus scheinbar wild gemischten Farben. Rot, Gelb und Grün dominierten, doch dazwischen fanden sich auch viele andere. Die Farben sagten Joana etwas, wenn sie auch nicht erkannte, was.
    „Ist der für mich? Ich danke dir.“
    Sunna lächelte warm, hielt ihr die Handflächen offen hin, senkte sie und vollführte eine halbkreisartige Bewegung. Es war ein Wort in Gebärdensprache, und ohne diese zu beherrschen, verstand Joana den Sinn. Heimat. Die Muster des Schals stellten die Farben der afrikanischen Staatsflaggen dar.
    „Das Land fehlt mir nicht“, meinte sie leise, vergrub die Finger jedoch in der kratzigen Wolle. „Ich war nie dort.“
    ‚Aber du würdest gerne’, hatte Nicholas einmal gesagt. Und irgendetwas schien ihr ja zu fehlen, oder wasbedeutete dieses Sehnen ansonsten? Eine Heimat war da vermutlich noch das Einfachste, wenngleich sie nicht wusste, wo diese lag. Aber warum nicht glauben, dass sie Heimweh hatte? Heimweh war nichts Schlechtes. Es verriet, dass sie Wurzeln besaß, von denen sie immer geglaubt hatte, sie würden bei ihr nicht existieren.
    Sunna hob die Hand und legte sie Joana auf den Oberschenkel. Joana hatte vampirartige Dämonen für kalt gehalten. Augenscheinlich ein Hollywoodklischee, denn Sunnas Haut war warm und ihre Berührung angenehm. Ein Hauch eines wohligen Ziehens breitete sich in ihrem Bein aus und Joana spürte, wie ein wenig Sorge von ihr abließ. Sunna zog die Hand zurück.
    Joana schüttelte fasziniert den Kopf. Alles fühlte sich leichter an. Ein bisschen leichter nur, aber sie spürte es. „Hast du das getan?“, fragte sie. Ein zaghaftes Nicken. Unsicher. Erneut streckte Sunna den Arm aus, hielt dabei Joanas Blick, als würde ein einzelnes Blinzeln sie zurückweichen lassen. „Es ist okay. Ich habe nichts dagegen.“
    Sunna nahm ihre Hand und dann war da wieder dieses angenehme Ziehen, welches Sorgen aus ihr hinauszusaugen schien.
    Schließlich erhob sich Sunna und ging mit einem letzten freundlichen Blick zurück ins Haus. Joana blieb mit ihrem neuen Schal und dem Gefühl zurück, als hätte sie sich soeben stundenlang bei einer Freundin die Sorgen von der Leber geredet. Einerseits war es eigenartig, sich in der Nähe eines Blutsaugers wohlzufühlen. Andererseits teilte sie mit jemandem das Bett, der Gefühle stahl. Seit sie damals Nicholas’ Opfer gewesen war, wusste Joana besser als jeder andere, dass der Mensch leichter auf einen Liter Blut als auf seine Emotionen verzichten konnte.
    Am frühen Abend kam Nicholas, um sie abzuholen. Sie hatte das Training nach zwei weiteren, positiv verlaufenden Versuchen beendet und sich wieder dem Buch über Dämonen gewidmet, um mehr über Demjan herauszufinden. Sunna, die den ganzen Nachmittag im Wohnzimmer gesessen, und Joanas Fortschritte mit vor Begeisterung glänzenden Augen verfolgt hatte, ließ Nicholas ein und verzog sich in ihr Zimmer.
    „Sie schämt sich noch immer“, sagte Rut.
    Sie sah nicht einmal von ihrem Kreuzworträtsel auf, als Nicholas ihr über die Schulter blickte und sich plötzlich versteifte. Seine Augen wurden schmal. Er griff nach dem Rätselheftchen sowie dem Kugelschreiber, zog Rut beides aus den Händen und ließ sich am Esstisch nieder.
    Joana sah skeptisch zwischen ihm und der verärgerten Clerica hin und her. Rut stemmte die Hände in die Hüften, doch Nicholas beachtete sie nicht mehr und kritzelte mit seiner unleserlichen Handschrift am Rande des Heftchens herum.
    „Aufgeblasener Dämon mit acht Buchstaben“, brummte er und knallte den Kugelschreiber auf die Tischplatte.
    „Wie bitte?“ Joana verstand überhaupt nichts.
    „Nein, ‚wie bitte’ ist falsch.“
    Er klatschte das Heftchen über das Buch, das sie aufgeschlagen im Schoß hielt. Seine Notizen ähnelten Hieroglyphen, doch Joana erkannte, auf welche Idee er gekommen war.
    „Meine Namen bedeuten immer etwas“, erklärte Nicholas. „Seine offenbar auch.“
    „Koshchei“, stieß sie hervor. „Er ist der Koshchei, na klar! Er hat für seinen Nachnamen nur die Buchstaben umgeworfen. Aus Choskeih wird Koshchei. Oh mein Gott, es klingt sogar ähnlich.“
    „Nur wenn man es dilettantisch ausspricht.“ Nicholas wirkte amüsiert. „Aber es stimmt. Es lag überhaupt nicht in seinem Interesse, es zu verbergen. Dadurch habe ich es mir verdammt schwer gemacht, statt es auf die einfache Art zu versuchen. Der hat mich glatt verarscht. Dreck noch mal, er hat es gut

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