Nybbas Nächte
bekennender Kleptomane. Er selbst hatte Joana mit breitem Grinsen gebeten, alle persönlichen Dinge im Blick zu behalten, da er gerne etwas mitgehen ließ. Seine Ehrlichkeit hatte sie regelrecht verzaubert. Seitdem achtete sie darauf, Nicholas’ Geschenk, das filigrane Armbändchen, unter dem Armel zu verbergen. Wenn Tomtes sehnsüchtige Blicke wie beiläufig Nicholas’ Zippo streiften, wurde ihr flau. Nicholas würde ihn auseinandernehmen, sollte der Fuchsdämon auch nur versuchen, ihn zu bestehlen.
Tomte war so sympathisch wie anstrengend, aber er lenkte sie von Ruts harten Lehrstunden und den wirren Träumen ab. Joana feilschte mit Nicholas um jede Stunde, die sie nicht trainieren musste, sondern ihn stattdessen zu den Füchsen begleiteten konnte.
Sie musste Nicholas für seine Beherrschung bewundern. Demjan ging ihm fürchterlich auf die Nerven, doch er überspielte dies mit Lässigkeit und hin und wieder sogar mit Charme. Freundlichkeit konnte man ihm nicht nachsagen, doch zumindest hielt er an einer prävalenten Höflichkeit fest, die ihm nach und nach die Türen öffnete und Demjan immer weiter auf seine Seite zog. „Ich tue, was ich tun muss“, erklärte er. Und er war gut in dem, was er tat.
„Wir gehören quasi zum Rudel“, verkündete er eines Abends selbstzufrieden. „Demjan bietet seinen Leuten Abwechslung, das muss man ihm lassen. Einer der Füchse feiert morgen seinen fünfzehnten Geburtstag und damit seine Volljährigkeit. Was ganz Großes. Es gibt eine Feier, anschließend gehen sie auf eine rituelle Jagd bei Nacht. Panem et circenses. Und wer ist eingeladen?“
Sie erwiderte seinen Blick bewusst herausfordernd. „Ich?“
„Wir beide, kleine Leibwächterin.“
Joana ließ sich erschöpft aufs Bett fallen und vergrub das Gesicht im Kissen. „Unter einer Bedingung. Kein Training morgen. Wenn Rut mich erst in den Fingern hatte, bin ich danach Matsch und nicht mehr in der Lage zum Feiern.“
„Keine Chance, Jo.“
„Aber morgen ist Sonntag!“
„Für alle anderen, Kleines. Bis du eine richtige Clerica bist, ist für dich immer Montag.“
Nein, in dieser Hinsicht war Nicholas unerbittlich. Er wollte Island, Rut und vor allem Demjan schnellstmöglich den Rücken kehren, daher kam ein unnötiges Hinauszögern nicht infrage. Vielleicht hätte Joana ihn in einer Diskussion umstimmen können, doch dazu war sie bei Weitem zu müde. Trotziges Schmollen glitt an ihm ab, gegähnte Worte wie „Barbar“ und „Sadist“ ebenso. „Sklaventreiber“ ließ ihn laut lachen und dies wiederum brachte sie zur Kapitulation.
14
S
elbst im menschlichen Körper glaubte Tomte, das angespannte Zittern der Barthaare zu spüren, die er nur als Fuchs besaß. Mineralischer Duft von Wasser, eisigen Steinen und ein Hauch des Schwefels einer fernen heißen Quelle würzte die Luft. Auch Schnee roch er bereits, obwohl der noch in grauen Wolken auf seinen Einsatz wartete. Der Wasserfall rauschte so laut, dass es Tomte nicht gelingen würde, nahende Schritte zu hören. Der Ankömmling könnte sich lautlos an ihn heranschleichen. Vielleicht hatte er darum diesen Treffpunkt gewählt.
Ein unangenehmes Gefühl, das ihm seine Feigheit unter die Nase rieb. Aber dem Mann, den er erwartete, war nicht zu trauen. Joana, seiner menschlichen Begleiterin, ganz sicher, doch von dem Dämon hätte Tomte sich lieber ferngehalten. Dumm nur, dass dieser Nicholas der Einzige war, der ihm helfen konnte, die Wahrheit herauszufinden und für Gerechtigkeit zu sorgen. Denn Nicholas ließ deutlich erkennen, dass er Demjan nicht mochte, und das wiederum machte ihn ohne sein Wissen zu Tomtes Verbündetem; Misstrauen hin, Unbehagen her.
Er musste nicht lange warten. Nicholas kam mit dem Wagen, dessen Motorengeräusche trotz der tosenden Wassermassen zu hören waren. Tomte sprang von dem Felsen und ging dem Ankommenden entgegen. Etwas abseits des Tosbeckens ließ es sich leichter reden. Nicholas erwartete ihn an den Kotflügel gelehnt.
„Du wolltest mich sprechen?“ Zu spät fiel Tomte ein, dass der andere ansonsten kaum hier wäre. Er war so darauf konzentriert, sich die Nervosität nicht anmerken zu lassen, dass diese vermutlich schon in seinem Gesicht leuchtete. Unübersehbar wie eine dieser Großstadt-Reklametafeln.
Nicholas hatte bislang uninteressiert die Spitzen seiner schweren Lederstiefel betrachtet, nun hob er den Kopf und sah Tomte durchdringend an. „Kommen wir gleich zum Wesentlichen. Du magst Joana.“
Ach, du liebes
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