Nybbas Nächte
dauerte eine gute Stunde und mehrere Gläser Alkohol, bis die Stimmung sich wieder löste. Gleichzeitig kehrte Joanas Erschöpfung zurück, kroch verführerisch durch ihre Knochen und lockte ihren Blick immer wieder Richtung Uhr.
Demjan erzählte weinselig von den Tagen der ersten Freiheit, wie er die Zeit nach dem Tod seines Nekromanten bezeichnete.
„Er war ein feiner Kerl“, berichtete er gutmütig, „aber mein eigener Herr zu sein war eine Erfahrung, die mich die Trauer vergessen ließ.“
Nicholas’ Blick ruhte gedankenverloren auf Joana. Sie fragte sich, ob er Demjans Ausführungen über dessen Wanderschaft quer durch Sibirien überhaupt zuhörte. Unter den Füchsen begann währenddessen die Pärchenbildung. Dies ging unter dieser Art von Halbdämonen üblicherweise schnell und zog in den meisten Fällen keinerlei Verbindlichkeiten nach sich. Joana wusste, dass man im Rudel offen zu seiner Sexualität stand und der Privatsphäre eher geringe Bedeutung beimaß. Es war also ganz normal, dass die Tanzenden ihre Hände unter den Oberteilen sowie in den Hosen ihrer gewählten Partner versinken ließen und sich nicht um Zuschauer scherten. Joana konnte sich nicht zwischen beschämtem Wegschauen und Neugierde entscheiden.
„Tanz mit mir, Jo“, raunte Nicholas irgendwann, ohne auch nur eine Atempause in Demjans Erzählung abzuwarten.
Ihrer Müdigkeit zum Trotz sandte seine tiefe Stimme ein Kribbeln durch ihren Körper. Sein Tonfall klang, als spräche er nicht vom Tanzen, sondern davon, sie augenblicklich und vor aller Augen auf dem Tisch flachzulegen. In ihrem Nacken wurde es feucht, sie teilte ihr Haar, um die erhitzte Haut zu kühlen. Ihr nächster Atemzug drang unweigerlich tiefer. Die Luft roch nach Sex.
Sie wollte tanzen. Das Problem war, dass sie es nicht konnte. Sie konnte einen Automotor reparieren, eine Handfeuerwaffe in Rekordzeit auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, und manchmal sogar einen Dämon zur Bewegungslosigkeit verdammen. Aber tanzen? Neben den hemmungslosen Fuchsdämonen würde sie aussehen wie ein steifer Stock zwischen sich im Wind wiegenden Schilfgräsern.
„Jo?“ In Nicholas Stimme vibrierte Belustigung. „Ich kann auch nicht tanzen.“
„Sehr tröstlich.“
Sie stand dennoch auf, als er ihre Hand nahm, und ließ sich an den Rand der Tanzfläche führen. Ganz sicher tanzte man zu Frank Sinatras
Somewhere beyond the sea
anders, trotzdem fühlte es sich richtig an, als er ihre Handgelenke neben ihren Hüften umfasste und ihr ganz nah kam, sodass sie die Stirn gegen seine Schulter lehnen und die Augen schließen konnte. Er konnte wirklich nicht tanzen und versuchte es auch nicht. Das Einzige was er tat, war sein Gewicht zu verlagern, so minimal, dass es vermutlich niemand sah, und auch sie es nur bemerkte, weil ihr Körper so dicht an seinem jede Bewegung von allein mitging. Wenn dies Tanzen war, war es wundervoll.
Sie spürte, wie er das Gesicht in ihrem Haar vergrub, tief einatmete und lautlos seufzte. „Es tut gut, dich jetzt für mich zu haben“, murmelte er.
„Hm.“ Zu einer aussagekräftigeren Antwort, hätte sie die Lippen bewegen und das wohlige Gefühl der Schwere zerstören müssen.
„Demjan ist ein klebriger Kerl. Ich will ihn heute Abend nicht mehr in deiner Nähe haben“, fuhr Nicholas fort. Ein kaum vernehmliches Knurren untermalte seine Worte. „Nicht heute.“
„Liegt ganz in meinem Sinne“, antwortete sie und drehte ihm das Gesicht zu, sodass ihre Wange nun an seiner Schulter ruhte. „Du bist mir doch nicht böse, weil ich behauptet habe, Angst vor dir zu haben?“
Nicholas antwortete seiner Art entsprechend ohne ein Wort, und ohne zu erwähnen, dass es keinen Grund zur Verärgerung gab. Sanft pustete er ihr eine Haarsträhne ins Gesicht, um diese dann mit den Lippen zu berühren. Ein paar ihrer Haare verfingen sich in seinen Bartstoppeln. Die Musik kam wie durch Watte und Joana glaubte, tanzend auf der Stelle einschlafen zu können. Nicht aus Langeweile, nicht einmal aus Müdigkeit. Sondern aus dem abgrundtiefen Wohlgefühl heraus, in dem sie versinken wollte.
„Erzähl mir etwas“, flüsterte sie. „Von dir. Demjan sprach von den Tagen der ersten Freiheit. Wie waren sie für dich, diese Zeiten?“
Ein lautloses Lachen zitterte in seiner Brust. Ein Lachen, welches ebenso der Dämon als auch der Mann von sich gegeben haben könnte. „Ich war auf See“, berichtete er schließlich und schloss die Augen, vielleicht, um sich besser
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