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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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erinnern zu können. „Ich heuerte auf einem Frachtschiff an, einem Dreimaster, der Tabakwaren von Cuba und Puerto Rico nach Spanien importierte. Den Hafen, in dem abgeladen und verkauft wurde, wählte der Kapitän immer danach aus, wo es die billigsten Mädchen gab. Er meinte, es hätte keinen Nutzen, einen Auftrag anzunehmen, bei dem für den Tabak mehr gezahlt wurde, wenn die Differenz gleich im nächsten Freudenhaus wieder liegen blieb. Er hatte Sinn fürs Geschäft, der Gute. Hab eine Menge lernen können.“
    „Kaum vorstellbar, dass du irgendwo angeheuert hast. Ich dachte, es wäre eher dein Stil, dir ein schmuckes Kopftuch umzubinden, das schönste Schiff zu entern und den Kapitän über die Planke gehen zu lassen.“
    Nicholas lachte leise. „Touché. Mein erstes Schiff erstand ich auf diese Weise. Damals hisste ich sogar eine Totenschädel-Flagge. Kleiner Spaß. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, wie schwer es ist, ein Segelschiff über den Pazifik zu bekommen. Der erste Sturm brach mir den Kutter entzwei und die Teile, mein damaliger Körper allen voran, sanken schneller als ein Dämon fluchen kann. Ich flog zurück an Land, besorgte einen neuen Körper und beschloss, zunächst ein tauglicher Seemann zu werden, bevor ich es erneut als Kapitän versuchen und Matrosen kielholen lassen wollte.“
    Joana wunderte sich, wie leicht es ihr fiel, sich über seine Erzählungen zu amüsieren. Diese Geschichten waren so lange her, dass ihre Realität für sie bereits zersplittert war, wie das Schiff in der unbarmherzigen Strömung und den gewalttätigen Einwirkungen von Meereskraft und Zeit.
    „Wusstest du, dass ich auch eine Vergangenheit als Freibeuter habe?“, fragte sie. „Damals, mit Sascha.“ Die Zeit schien nicht wenige Jahre, sondern ein ganzes Leben weit entfernt zu liegen. „Wir haben Fluch der Karibik angesehen, danach den Soundtrack auf CD besorgt, uns hemmungslos mit Barcardi betrunken und sind dann nachts über den Zaun eines Bootsverleihs geklettert. Ich trug eine Buddel voll Rum und Sascha schleppte den batteriebetriebenen Gettoblaster.“ Sie konnte sich kaum daran erinnern, wie alt sie gewesen war. Neunzehn oder schon zwanzig? Die Piercings, die Sascha in Nase und Unterlippe getragen hatte, sah sie dagegen noch vor sich, wie sie silberblaue Mondlichtreflexionen warfen. „Wir haben ein Ruderboot geklaut und sind von dieser fantastischen Musik begleitet den Alsterkanal entlanggeschippert. Irgendwann schien uns die See zu ruhig, also imitierten wir ein paar Wellen, indem wir das Boot zum Schaukeln brachten.“ Sie musste kichern, weil Nicholas eine Braue hochzog, als ahnte er den weiteren Verlauf. „Und ja, dann sind wir tatsächlich mitsamt dem CD-Player und der Buddel voll Rum gekentert. Wir haben alles untergehen lassen und sind geflüchtet. Unsere Sachen liegen wahrscheinlich heute noch auf dem Grund.“
    Das unterdrückte Lachen trieb ihr Tränen in die Augen, doch Nicholas hielt ihren Blick sanft und erwiderte es nicht, sodass sie wieder ernst wurde und ihren Kopf von seiner Schulter nahm.
    „Okay, du hast recht. Neben deiner Piratengeschichte wirkt meine so aufregend wie ein Strudel in der Badewanne. Langweile ich dich?“
    „Nein, du tröstest mich.“ In seiner Antwort schwang ein Unterton, den sie nicht verstand. „Du hast oft von Sascha erzählt. So oft, dass ich glaube, ihn zu kennen. Aber gerade hast du zum ersten Mal dabei gelacht.“ Nun lächelte er doch, aber in diesem Lächeln lag etwas Zerbrechliches. „Seltsam, dass dies ausgerechnet heute passiert.“
    Erleichtert, wenn auch verwundert über Nicholas’ Beobachtung, lehnte sie sich wieder bei ihm an. „Was ist heute besonders?“
    Er antwortete nicht auf ihre Frage. Stattdessen sagte er: „Es ist beruhigend zu sehen, dass positive Erinnerungen sich letztlich durchsetzen. Dass man über Trauer hinwegkommt. Eine Weile stelle ich mir schon die Frage, wie es sein mag, jemanden zu finden und wieder hergeben zu müssen, obwohl man es nicht will.“
    Selten hatte seine Stimme so weich geklungen wie bei diesen Worten, und doch trafen sie Joana schmerzhaft. Glühenden Aschefünkchen gleich, die vom Feuer aufstoben und zum Erlöschen auf ihre Haut fielen, wo sie sie nicht wegwischen konnte, weil ihre Hände gehalten wurden. Er hielt sie sanft und gleichzeitig so fest.
    Die Frage, was er damit sagen wollte, lag ihr bereits auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Wiedereinmal hatte sie vergessen, dass Zeit für

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