Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
abwarten musste. Früher oder später starben die alle.
Nicholas hätte gern auf den Besitz des Ilyan verzichtet. Er war jung, nicht älter als sein aktueller menschlicher Körper, der gerade mal der Akne entwachsen war. Genau wie ein pubertärer Mensch schwankte er zwischen maßloser Selbstüberschätzung, Abenteuerlust und elendem Gejammer darüber, sich in einem Menschenkörper verstecken zu müssen. Nicholas konnte nur darauf hoffen, dass Elias sich entwickeln würde. Seine Schöpferin war ein kindisch verbohrtes Mädchen von achtzehn Jahren gewesen. Schwach und ahnungslos, dass sie der Macht, mit der sie gespielt hatte, tatsächlich habhaft gewesen war. Einen dunklen Engel hatte sie gerufen, der die Rache ausführen sollte, die sie sich erträumt hatte. Möglicherweise würde der von ihr geschaffene Dämon auf ewig bleiben, wie sie ihn beschworen hatte: Verführerisch, traurig, unerschrocken und voller Gier nach den Menschen, deren Seele schlecht war. Jede in sich aufgenommene Seele steigerte sein Leid und seine Gier nach mehr von ihnen.
Er seufzte. Wenn Elias auch nur eine Chance bekommen sollte, mit seiner Existenz leben zu lernen, dann musste er sich wirklich beeilen. Der Catácon würde nicht lange fackeln – er würde ihn abfackeln.
Wenig später stand Nicholas im Wandschrank seines Schlafzimmers, wo er den Körper sicher versteckt wusste. Sein Inneres brannte erwartungsvoll. Die Hülle zu verlassen war so gut, ein solch erhabenes Gefühl von Freiheit. Und so schön gefährlich, nicht nur für ihn. Die Clerica konnten ihn vielleicht spüren und dass er sie herführen würde, war nicht auszuschließen. Im besten Fall bedeutete das, dass die Arbeit von Jahrzehnten umsonst war. Im Schlechtesten … daran wollte er nicht denken.
Elias gehörte ihm. Niemand außer ihm hatte das Recht, ihn zu töten. Er musste einfach nur schnell genug sein.
Der Schatten drängte gegen die Wände aus Fleisch und Blut. Brachte das Adrenalin in seinen Adern zum glühen, schmerzte in jedem Knochen und grollte tief vor Verlangen. Er stöhnte, als die Kraft ihm eine Rippe brach. Jede Faser des Körpers schien bersten zu wollen, überfordert von der unbändigen Stärke des Nybbas.
Er gab ihn frei. Spürte sich selbst aus jeder Körperöffnung, aus jeder Pore strömen. Der menschliche Körper brach leblos zusammen und blieb zwischen zu Boden gefallenen Maßanzügen zurück.
Ein energetischer Impuls ließ Agnes zusammenfahren. Die Tüte mit dem Vogelfutter entglitt ihren Händen und fiel zu Boden. Sie taumelte vom Käfig ihrer beiden Kanarien zurück und presste sich die Fingerspitzen an die Schläfen. Dämonische Energie. Aber sie war zu weit entfernt, als dass sie den Dämon hätte lokalisierenkönnen. Sie befeuchtete schnell einen Finger mit ihrem Speichel und malte sich mit geschlossenen Augen eine Glyphe auf die Stirn. Dies verstärkte ihre Kraft, bündelte sie auf das Auffinden des Höllenwesens. Agnes fiel auf die Knie, ihr Kopf sank auf den Teppich. Ihr Körper stellte das Atmen ein, selbst ihr Herzschlag verlangsamte.
Finde ihn!
Nichts anderes war von Bedeutung.
Doch er entglitt ihr, war verschwunden, ehe sie seinen genauen Aufenthaltsort bestimmen und ihn mit ihrem Zauber schwächen konnte.
„Gottverdammt nochmal!“, zischte sie und rappelte sich mühsam auf. Noch drehte sich ihr Wohnzimmer um sich selbst, bot ihr keinen Fixpunkt, der ihr helfen würde, das Gleichgewicht wiederzufinden. Taumelnd stützte sie sich auf einen Stuhl und rieb ihre schmerzenden Knie. Das würde blaue Flecken geben. Sie fluchte in Gedanken übelste Verwünschungen und schämte sich sogleich dafür. Vielleicht wurde sie wirklich langsam zu alt für den Job. Als sie noch jünger gewesen war, hatte man sie eine Koryphäe genannt. Wenn es darum ging, entfernte Dämonen aufzuspüren, hatte niemand ihr etwas vormachen können, sie war die Beste gewesen. Jedoch schien ihre Kraft nachzulassen. Möglicherweise war dieser Dämon aber auch einfach zu weit weg gewesen. Sie schnaubte entrüstet und blickte aus dem offenen Fenster. Strahlender Sonnenschein und blauer Himmel. Dieses neumodische Dämonenpack hatte vor nichts mehr Respekt. Früher hatten sie sich auf die Nächte beschränkt, aber heute liefen selbst einige Vampirarten bei Tag herum und verhöhnten die Sonne mit strahlendem Grinsen.
Etwas Gelbes flatterte aufgebracht im Raum umher.
Oh nein, sie hatte das Käfigtürchen nicht geschlossen. Agnes konnte nur fassungslos zusehen, wie einer
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