Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
und nach Hause geschickt worden, nur ein englischer Geologe hielt sich weiterhin in der Nähe auf. Er wurde noch benötigt. In welcher Hinsicht wusste er natürlich nicht.
Alexander bestand darauf, den Abend abzuwarten, ehe sie sich gemeinsam in die freigelegte Grotte vorwagen wollten, in der er die Essenz des gebannten Dämons ausgemacht hatte. Er hatte bis auf eine enorme Konzentration von Alter und Macht keine Hinweise darauf gefunden, um welche Art von Dämon es sich handelte, und wusste daher nicht, ob eine Schwäche gegen Tageslicht vorlag. Das Letzte, was er wollte, war einen möglichen Mitstreiter zu verletzen oder schwer zu beleidigen, indem er ihn der Sonne aussetzte. Daher würden sie die Höhle erst am Abend betreten.
Nicholas war das recht. Er verbrachte den Tag zurückgezogen in seinem Zimmer und holte Schlaf nach, bis es kurz nach Sonnenuntergang mit dem Mietwagen zur Ausgrabungsstätte ging. Alexander fuhr selbst. Er ließ jedermann seine gute Laune spüren und mimte den tüchtigen Geschäftsmann vor dem Abschluss eines lukrativen Deals.
Der Engländer hieß Matt Mac Jerrems und war ein Mann von enormer Begeisterungsfähigkeit. Auch wenn er nicht genau wusste, welche Art von Reliquie sein Boss zu finden erhoffte, und warum dies am Abend geschehen musste, so ging auch er von reicher Beute dieser geheimen Expedition aus. Nicholas spürte die Erwartung in dem Wissenschaftler. Mac Jerrems zwirbelte sich permanent den Schnurrbart oder schob seine Brille auf der Nase hin und her. Für einen Doktor der Naturwissenschaften war er mit knapp über dreißig noch recht jung. Sein Aussehen und seine Kleidung, bestehend aus Cordhosen, einem grünen Hemd und einer altmodischen Walkweste, ließen ihn jedoch sehr viel älter erscheinen.
Lillian und Nicholas saßen auf der Rückbank und während er sich sporadisch an den Gesprächen beteiligte, zog sie es vor zu schweigen.
Der Abend hatte schwere, tiefhängende Wolken mit sich gebracht. Wie ein Spiegelbild des Himmels lag eine gallertartige Nebelschicht über der Moewlyn-Bergkette und schluckte alle Blicke, die sich weiter als ein paar Meter vorwagen wollten.
„Mutter Natur hüllt uns in ihren Atem“, flüsterte Lillian, als sie am Fuß der Berge aus dem Wagen stiegen. Alexander und Mac Jerrems stapften, in eine lebhafte Diskussion versunken, voran und beleuchteten mit Taschenlampen ihren Weg. Lillian hielt Nicholas ein paar Meter zurück. „Was denkst du? Mag sie uns wie eine Komplizin schützen? Oder verbirgt sie in Scham, was hier geschehen wird?“
Er bedauerte kurz, nicht einfach die Flucht ergreifen zu können, denn meist waren Lillians philosophische Ergüsse kaum zu ertragen. „Hast du deine esoterischen fünf Minuten? Bitte nicht schon wieder. Meinst du ernsthaft, die Erde hätte eine Meinung über uns?“
„Oft frage ich mich ebendies“, sinnierte sie ungerührt und ließ ihren Blick über die in Nebel versunkene Landschaft streifen. „Sind wir Schöpfungen? Oder Schande?“
„Wir sind einfach nur da, Lill. Mehr nicht.“
Der Weg führte einen felsigen Hang hinauf. Außer schroffem Stein gab es hier nur Moos und ein paar Flechten, die so anspruchslos waren, dass sie selbst auf diesem kargen Boden genügend Nahrung fanden. Der kleine Tross aus unterschiedlichen Individuen brauchte zwanzig Minuten, bis sie den in einer tiefen Felsspalte versteckt liegenden Höhleneingang gefunden hatten. Mac Jerrems fischte weitere Taschenlampen und vier ineinander gestapelte Plastikhelme aus seinem Rucksack.
„Müssen alle Kopfschutz tragen“, nuschelte er in seinen Bart. „Vorschriften halt, hat alles seine Vorschriften.“
„Gesundheit ist das höchste Gut“, pflichtete Alexander ihm freundlich bei und setzte einen der Helme auf.
Nicholas fragte sich, wie sein Chef bei solchen Possen derart ernst bleiben konnte. Er selbst wandte sich ab, um den todgeweihten Geologen nicht mit seinem Lachen zu verunsichern.
Der Nebel begleitete sie ein ganzes Stück in den Berg hinein. Träge kroch er vor ihnen her. Von den rissigen Wänden und Decken tropfte Wasser und sammelte sich in flachen Pfützen am Boden. Gestein knirschte unter jedem Schritt und die Endlosigkeit der labyrinthartigen Gänge wisperte das Echo jedes Geräuschs wider. Der Geologe sprach leise über das Alter der Gesteinsschichten, die an den immer wieder leicht variierenden Farbnuancen zu unterscheiden waren. Alexander schien aufmerksam zuzuhören. Nicholas erkannte erst auf den zweiten Blick,
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