O diese Rasselbande
Feld zu reiten?
Bei der Vorstellung muß Fips plötzlich kichern, und da er seine eigene Stimme hört, fällt ihm auf, daß es eigentlich viel zu leise in der Klasse ist, und er kichert noch ein bißchen lauter. Aber sofort hat er einen kräftigen Stoß im Rücken. „Halt den Sabbel!“ zischt Bodo.
Der ist wohl verrückt geworden, ausgerechnet loszukichern, wenn Dr. Kraus schildert, unter welch entsetzlichen Qualen die Christen verbrannten, als Nero durch diese lebenden Fackeln seine Allee erleuchten ließ. Jetzt fehlt uns noch eine Strafarbeit zum Wochenende, wo wir rausfahren wollen zu dem Mädel. Denn bei Bodo steht fest, daß sie hinausfahren müssen. Das Ding mit dem Pferd ist zu aufregend. Bodo reitet für sein Leben gern, aber da er aus der Stadt ist, kann er nur ab und zu bei einem Freund auf dem Lande reiten. Und dann sind es doch nur Ackergäule. Und dieses Mädchen behauptet, ein eigenes Pferd zu besitzen, ein Pony, auf dem sie stehen kann beim Traben. Das muß er sehen, und wenn er allein fahren muß!
Auch Silke ist nicht bei der Christenverfolgung, obgleich sie Dr. Kraus unentwegt ansieht, aber sie erfaßt nicht, was er sagt. Sie hat die Hände auf der Bank gefaltet.
»Bitte, bitte, lieber Gott“, denkt sie, „mach doch, daß die
Jungen herauskommen. Es muß ihnen bei uns gefallen, und ganz sicher wird es dann besser, und ganz sicher finde ich dann schon einen Weg, damit sie mich freiwillig in der Klasse behalten. Und wenn ich sie dazu bringen könnte, daß sie öfter zu uns herauskommen, dann werden sie sich auch besser zusammennehmen, damit es nicht so viele Strafarbeiten hagelt, und sie mehr Zeit zum Spielen haben. Alles würde dann besser werden. Es muß ihnen ja gefallen. Wir könnten auf der Übungswiese Schießen üben und Geländespiele machen durch den ganzen Wald bis nach Rohrbach hinunter. Wir könnten bei der Burg abkochen wie die Pfadfinder und zusammen singen und Geschichten erzählen. Es könnte so schön werden. Lieber Gott, bitte, bitte, mach doch, daß sie kommen.“
So geht die Stunde zu Ende.
In der letzten Stunde ist Erdkunde bei Studienrat Steguweit. Dieter Reich hat das Amt, die Landkarten aus dem Kartenzimmer zu holen. Er wird mal Afrikaforscher werden, das steht fest. Erdkunde ist sein Lieblingsfach, und im Kartenzimmer gibt es immer was Interessantes zu schnüffeln. Darum geht Dieter am Anfang der Pause und nicht am Ende.
Das Kartenzimmer liegt im Erdgeschoß, am Ende eines kurzen, abseits gelegenen Ganges. Dieter begibt sich gemächlich auf den Weg. Die Hände in den Taschen, schlendert er die Treppe hinunter und pfeift leise vor- sich hin. Es ist lediglich Zufall, daß die Melodie gerade zu Ende ist, als er im Erdgeschoß ankommt, und es ist ebenfalls Zufall, daß er gerade heute so langsam daherschlendert und also wenig Geräusch macht. Er biegt in den kleinen Seitengang ein und sieht die
Tur zum Kartenzimmer halb offen stehen. Zufall ist auch, daß Studienrat Steguweit über den Ständer, der die zusammengerollten Landkarten enthält, gebeugt steht und etwas zu suchen scheint. Dieter kann nichts dafür, daß ihm der Studienrat den Rücken zudreht. Er steht einige Sekunden regungslos. Vor so einer Anhäufung gütiger Zufälle muß man kapitulieren, ob man will oder nicht. Er hat in Sekundenschnelle die Situation übersehen und auch das, was sich weiter ergeben könnte, und schon hat er sanft die Tür zugezogen und im selben Augenblick, da die Klinke einschnappt, hat die andere Hand den Schlüssel umgedreht. Den Schlüssel herausziehen ist nur ein Geräusch mehr. Dann steht er wieder einen Augenblick regungslos.
Drinnen ist nichts zu hören. Studienrat Steguweit ist in Gedanken versunken. - Zu merkwürdig, er weiß genau, daß die skizzierte Karte von Südamerika hier im Ständer gestanden hat, jetzt, wo er sie nötig braucht, ist sie nicht da. Studienrat Steguweit beginnt einige andere Karten auf ihre Brauchbarkeit für seine Zwecke zu untersuchen und auf dem langen Kartentisch auszurollen. Auf die Tür hat er nicht geachtet. Dieter lugt vorsichtig um die Ecke, ob sich im langen Gang etwas zeigt. Nichts - er huscht schnell die Treppe hinauf und verkrümelt sich im ersten Stock. Am offenen Fenster bleibt er stehen. Zuerst muß er mal Luft holen und nachdenken.
Wie das alles so schnell gekommen ist, weiß er schon gar nicht mehr, aber Allah möge ihm verzeihen, diese Gelegenheit war einmalig, und er hätte sich selbst nie verziehen, hätte er sie ungenutzt
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