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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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meine Hand aus und berührte die von James. Er blickte verwundert hoch.
    »Wissen Sie, wo Claire Moon ist?« fragte ich.
    »Nein«, sagte er.
    Warum glaubte ich ihm bloß nicht?

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    Kaum hatte James Butler mit dem entrüsteten Bubba an Bord die Auffahrt verlassen, sank Mary Alice auf die Stufen nieder, die
     Hand an die Brust gepreßt.
    »Ich hätte mit ihm mitfahren sollen«, sagte sie. »Was wissen wir schon über diesen James Butler?«
    »Er machte einen kompetenten Eindruck«, beruhigte ich sie.
    »Weil er wußte, wo man ein Thermometer hineinsteckt? Ich sage dir, Patricia Anne, die Gesundheitsbetreuung von Katzen ist
     auch nicht mehr das, was sie mal war. Erinnerst du dich noch an Mamas Sugar Pie?«
    Die Gedankengänge meiner Schwester nachzuvollziehen war ein vergebliches Unterfangen. Sugar Pie war eine riesige graue Tigerkatze
     gewesen, die zwanzig Jahre lang die Nachbarschaft terrorisiert hatte, nicht einen Tag in ihrem Leben krank gewesen war und
     der wir alle wenigstens einen Besuch in der Notaufnahme zu verdanken hatten, wo wir genäht wurden oder eine Tetanusspritze
     verpaßt bekamen. Mama hatte sie über alles geliebt.
    »Ich sollte herumtelefonieren und Erkundigungen einholen«, sagte Mary Alice. »Es ist noch nicht zu spät, um ihn aufzuhalten.«
    »Wen willst du denn anrufen? Den Verbraucherverband? Oder die Ärztekammer?«
    »Es ist Samstag, Maus. Vielleicht eher den Bentbrook Golf Club.« Sie erhob sich mühsam. »Oder ich fahre ihnen einfach hinterher.
     Dann kann ich mir wenigstens die Klinik ansehen und einen Weihnachtsbaum kaufen.«
    |178| Wieder konnte ich ihren Gedankengängen nicht folgen. »Brauchst du keinen?« fragte sie.
    »Einen Baum? Wir haben unseren gestern abend schon aufgestellt.«
    »Doch nicht dieses Flaschenbürstenteil! Der
riecht
, Patricia Anne.«
    »Dafür fängt er kein Feuer.«
    »Sei dir da nicht so sicher. Und wenn er es doch tut, dann müssen sie die gesamte Nachbarschaft wegen giftiger Dämpfe evakuieren.
     Aus was ist dieses Ding eigentlich?«
    Ich zuckte die Achseln. »Wo willst du deinen Weihnachtsbaum denn holen?«
    »Auf der Weihnachtsbaumfarm in Harpersville. Du könntest dir wenigstens einen Kranz oder eine Girlande für deinen Kaminsims
     kaufen, Patricia Anne.«
    Ich zögerte. »Was ist mit Frances? Du hast ihr gesagt, du würdest bald zurück sein.«
    »Bin ich auch. Wir können runter nach Shelby County fahren, einen Blick in die Klinik werfen und uns in Null Komma nichts
     einen Weihnachtsbaum absägen.«
    Plötzlich erschien mir die Idee gar nicht so schlecht. Es war ein wunderschöner Dezembernachmittag; ein Spaziergang durch
     eine Weihnachtsbaumfarm würde meine Lebensgeister wecken. Und ein bißchen Grün wäre auch hübsch.
    »Ich fahre«, sagte Mary Alice.
    »Weißt du, wie wir dorthin kommen?«
    »Ich lass’ mir eine telefonische Wegbeschreibung geben.«
    Fünf Minuten später fuhren wir Richtung Süden, James und Bubba hinterher.
    Die Stadt Birmingham liegt in den hintersten Ausläufern der Appalachen. Drei sanft gerundete alte Berge   – Red Mountain, Shades Mountain und Double Oak Mountain – verlaufen parallel in ostwestlicher Richtung. Südlich des Double
     Oak Mountain wird das Land plötzlich flach und geht in eine |179| fruchtbare, halbtropische Küstenebene über. Aber der Grund für die Erbauung Birminghams sind die reichen Kohle-, Eisen- und
     Kalksteinvorkommen in den Bergen. Die Stadt lebt nach wie vor von der Stahlindustrie.
    Die Bevölkerung hat sich nach Süden hin ausgebreitet, zunächst den Red Mountain hinauf und über ihn hinweg, dann über den
     Shades Mountain, und mittlerweile zieht sie den Double Oak hinauf, unaufhaltbar wie ein Schwarm Wanderameisen. Ich hasse es,
     mit ansehen zu müssen, wie die Bergwälder abgeholzt werden. Zum Glück hat der Staat den größten Teil des Double Oak gekauft,
     um dort die Natur zu erhalten.
    Shelby County beginnt zwischen dem Shades Mountain und dem Double Oak. Der nördliche Teil des Countys ist das am schnellsten
     wachsende Ballungsgebiet im Staat Alabama und auch eines der wohlhabendsten. Hinter dem Double Oak ist man jedoch sofort im
     ländlichen Alabama. Alte Scheunen trotzen dem Wind und machen mit verblichenen Aufschriften Reklame: BESUCHEN SIE ROCK CITY.   Kleine Bauernhoftümpel bilden Tupfer in der Landschaft, und Waschmaschinen zieren die Veranden.
    »Die Dame meinte, wir könnten es gar nicht verfehlen«, sagte Mary Alice und bog auf die County Road 17 ab. »Es

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