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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Mary Alice erklärt, als er das Magazin hereinbrachte, um es uns zu zeigen. »Verkauf
     Haus und Hof und investier das Geld. Mach Sam stolz. Mach Amerika stolz.«
    Er kaufte dreißig Aktien, was für Fred eine Menge war.
    »Energieversorgungsbetriebe?« stieß er jetzt hervor. »Ist das dein Ernst?«
    »Ich stelle mir nur die Frage, warum wir alles auf eine Karte setzen.« Ich ging in die Küche. »Möchtest du Müsli?«
    »Haben wir Bagels da?«
    »Im Gefrierschrank.«
    »Dann hätte ich gern welche.«
    »Lender’s wäre sicher auch keine schlechte Anlage«, sagte ich mit Blick auf die Bagels-Packung, denn Lender’s war Freds Lieblingsmarke.
    Aber nun war ich zu weit gegangen.
    »Ach, sei einfach still, Patricia Anne«, vernahm ich aus dem Wohnzimmer.
    Es war ein beschaulicher Morgen. Ich packte Weihnachtsgeschenke ein und legte sie unter den Baum. Ich schrieb Weihnachtskarten.
     Und versuchte etliche Male, Mary Alice zu erreichen, mußte aber jedesmal mit »Ich kann nicht ans Telefon gehn, ich kann nicht
     ans Telefon gehn, eine Nachricht wär’ schön« vorliebnehmen. Ich sang ihr ein paar Nachrichten auf Band, aber es war mir zu
     mühselig, jedes einzelne Mal eine zu hinterlassen. Fred war in seine Werkstatt im Keller verschwunden, nicht ohne mich zuvor
     zu ermahnen, bloß nicht runterzukommen, weil er an meinem Geschenk arbeite. Da ich das Pflanzengestell, an dem er arbeitete,
     selbst entworfen hatte – eines, an das man all meine Farntöpfe hängen und das |199| man bei schönem Winterwetter rausschieben konnte   –, nahm ich an, daß er einfach allein sein wollte. Was mir auch recht war.
    Zum Mittagessen gab es kalte Küche aus Patricia Annes Cafeteria (sprich alles, was noch im Kühlschrank war), danach verzog
     sich Fred wieder in den Keller. Ich suchte meine Bibliotheksbücher zusammen, von denen einige bereits überfällig waren, und
     fuhr in die Stadt, um mir eine Ausstellung von Eudora-Welty-Fotografien anzuschauen.
    Die Birmingham Public Library ist ein erstaunliches Bibliotheksnetz mit über vierzig Büchereien. Gewöhnlich suche ich die
     nächstgelegene Zweigstelle auf, aber wenn ich Zeit habe oder irgend etwas Besonderes gezeigt wird, gehe ich zur Hauptbibliothek.
     Diese besteht aus zwei Gebäuden, einem neuen, äußerst modernen Bau, der die ausleihbaren Medien enthält, und einem klassizistischen
     alten Gebäude auf der anderen Seite der Straße mit einer dreigeschossigen Halle, an deren Wänden mythologische Szenen zu sehen
     sind. Letzteres, das fünfzig Jahre lang die Zentralbibliothek war, ist jetzt ein Archiv. Die beiden Gebäude sind durch einen
     Fußgängerübergang miteinander verbunden.
    Ich liebe zwar auch das neue Gebäude wegen seiner lichten Luftigkeit, aber das alte hat einen speziellen Platz in meinem Herzen.
     Dort bekam ich meinen ersten Job. Ich nannte mich Bibliotheksassistentin, was bedeutete, daß ich Dutzende Male am Tag ins
     Magazin gehen mußte, um angeforderte Bücher herauszusuchen. Ich räumte auch Bücher in die Regale, füllte Katalogkarten aus
     und half Leuten beim Nachschlagen. Der größte Vorteil für mich bestand darin, daß ich die neuen Bücher, sobald sie eintrafen,
     zum Lesen bekam. Der größte Nachteil waren die permanenten Schwielen an meinen Füßen vom vielen Laufen.
    Die Bibliotheken werden nach wie vor intensiv genutzt, was Leute, die nicht aus dem Süden stammen, zu überraschen |200| scheint. »Sie kommen aus Alabama und sind so belesen«, verwunderte sich eines Tages eine Frau auf einer Dinnerparty. Ich hätte
     ihr wahrscheinlich eine geklebt, wenn Mary Alice mich nicht in die Seite gestoßen und mir »Vulgäres Gesocks, Maus« zugeflüstert
     hätte.
    Ich fand einen Parkplatz auf dem Gelände hinter dem neuen Gebäude, beschloß, daß es für einen Schirm zu wenig regnete, und
     sauste zum Hintereingang. Dieser führt einen breiten Gang hinunter, der sich auf der rechten Seite zu einem Leseraum hin öffnet,
     während sich auf der linken Glaskästen aneinanderreihen. In diesen Kästen waren Eudora Weltys Fotos ausgestellt. Einige Besucher
     sahen sich die Bilder an und lasen die Überschriften, die Zitate aus ihren Büchern waren. Ich beschloß, sie mir auf dem Rückweg
     anzuschauen.
    Die Überziehungsgebühr für die Bücher belief sich auf fünfzig Cent, gut investiertes Geld. Ich zahlte und ging zu den literarischen
     Neuerscheinungen hinüber. Aktuelle Zeitungen sind im selben Teil untergebracht, weshalb mehrere Leute sich in

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