Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
waren. Auf einem davon war Ross Perry zu sehen, wie er ein Champagnerglas hob und einen Trinkspruch
     ausbrachte. Dieses Mal wurde er namentlich genannt. Es war derselbe Mann, dem sie am Bahnhof bei ihrer triumphalen Rückkehr
     aus Atlantic City die Rose überreicht hatte.
    »Hmmm«, murmelte ich und sah flüchtig die restlichen Ausschnitte durch. Die Geburt ihrer Tochter, Mercy Louise, wurde vermeldet.
     Und die Geburt ihres Sohnes Andrew. Eine Weile hatte Miss Boxx Notizen über Betty Bedsoles Heimatbesuche ausgeschnitten. Aber
     nicht allzu lang. Andere Leute boten interessanteren Stoff. Der letzte Ausschnitt stammte vom Januar 1969, als Betty beim
     Miss-America-Wettbewerb in der Jury gesessen und mit einer Miss Alabama posiert hatte, die es dann nicht einmal unter die
     ersten zehn geschafft hatte. Aber natürlich konnte Betty niemand einen Vorwurf machen, daß sie sich parteiisch gezeigt hatte.
    Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch und starrte zu dem grimmigen Porträt von Miss Boxx hinauf.
    »Nun?« fragte sie.
    »Ich denke, Ross Perry war in Betty Bedsole verliebt, und sie hat ihm den Laufpaß gegeben, weshalb er ihre Tochter so haßte.«
    »Mary Alice hat aber gesagt, er sei schwul.«
    »Sie hat gesagt, daß er ›vielleicht‹ schwul sei. Vielleicht war er ja bi.«
    »Ich mag Menschen, die sich entscheiden können«, sagte |206| Miss Boxx. »Bi ist so unentschieden. Wissen Sie, was ich meine?«
    »Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nicht einmal, was ich hier tue. Eigentlich sollte ich damit aufhören, meine Nase in anderer
     Leute Angelegenheiten zu stecken.«
    »Nun, ein guter Riecher hat schon manchen weitergebracht.«
    »Was soll denn das heißen?«
    »Keine Ahnung.« Miss Boxx griff sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. »Ich hoffe, Sie hatten nicht zehn Brautjungfern
     in blaugetupftem Schweizer Batist auf Ihrer Hochzeit.«
    »Nur meine Schwester, und die trug königsblauen Samt.«
    »Ma’am. Ma’am.« Der junge Bibliothekar stupste mich an der Schulter.
    »Bitte?« Ich öffnete die Augen und hob den Kopf vom Tisch. Du lieber Gott, ich hatte auf die Ausschnitte gesabbert.
    »Wir schließen sonntags um fünf.«
    »Wie spät ist es?«
    »Viertel vor.«
    »Guter Gott. Okay. Danke.« Ich zog ein Kleenex aus meiner Handtasche, wischte den Speichel von den Ausschnitten und die Druckerschwärze
     aus meinem Gesicht.
    »Verzeihen Sie«, sagte ich, während ich die feuchte Mappe auf den Tresen legte. Er beäugte sie angeekelt, als ich hinausging,
     und ich wagte es nicht, zu Miss Boxx hinaufzublicken.
    Ich rief Fred von dem Telefon unten an und teilte ihm mit, daß ich mich verspäten würde. Ich erzählte ihm nicht, daß ich gerade
     eine Stunde lang ein Schläfchen gehalten hatte und mich miserabel fühlte, zerschlagen und verärgert. Oder daß ich es versäumt
     hatte, mir die Eudora-Welty-Fotos anzuschauen, deretwegen ich hierhergefahren war. Ich lief durch den unvermindert anhaltenden
     Nieselregen zum Parkplatz. Das kühle Naß auf dem Gesicht tat mir gut. Es war fast dunkel, und auf |207| dem Parkplatz waren bereits die Lichter angegangen. Verschiedene Leute kamen aus der Bibliothek, ein Sicherheitsbeamter stand
     am Eingang und ein weiterer an der Ausfahrt des Parkplatzes. Als ich Schritte hinter mir hörte, drehte ich mich nicht einmal
     um, in der Annahme, es sei ein Bibliotheksbesucher wie ich, der auch bis zur letzten Minute geblieben war.
    Doch ich irrte mich.
    »Mrs.   Hollowell hat ein Schläfchen gemacht und sich ganz schön Zeit gelassen, stimmt’s, Lynnie?«
    »Es wird schon dunkel – zu dieser Tageszeit sollte man eigentlich nicht mehr draußen herumlaufen, was, Glynnie?«
    Ich drehte mich um und erblickte die Needham-Zwillinge. So dicht hinter mir, daß ich erschrocken zurückfuhr.
    »Was machen Sie denn hier?« fragte ich.
    »Nachforschungen anstellen.«
    »Genau. Wir stellen Nachforschungen an.«
    »Nun, ich hoffe, Sie haben gefunden, wonach Sie suchten.« »Haben wir«, antworteten sie wie aus einem Munde.
    »Fein. Also, bis bald mal.« Ich wandte mich um und steuerte auf mein Auto zu, aber sie blieben dicht neben mir, die eine links,
     die andere rechts. Sie hatten nichts Bedrohliches gesagt oder irgend etwas getan, um mich nervös zu machen, aber ich fühlte
     mich alles andere als wohl, eingeklemmt zwischen den beiden auf diesem nebligen, halbleeren Parkplatz, obwohl er beleuchtet
     und bewacht war.
    »Betty Bedsole ist eine Schlampe«, erklärte eine der

Weitere Kostenlose Bücher