Obduktion
Tag war anstrengend, aber auch erfreulich gewesen. Zuerst die Kabbeleien mit Lou und Vinnie, danach war er beim Erzbischof zum Mittagessen und am Abend dann noch die Verabredung mit Shawn im Museum.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«
»Es war ein langer Tag«, sagte er, aber nun wusste er nicht wirklich weiter. Da er James versprechen musste, Laurie nichts von dem Ossuarium zu erzählen, saß er nun in der Klemme, denn das war das Einzige, was er ihr gern erzählt hätte.
Er wollte sein peinliches Benehmen bei Lou und Vinnie nicht noch einmal durchleben, und wenn er Shawn und das Museum erwähnen würde, musste er auch von dem Ossuarium erzählen.
»War es ein guter langer Tag oder ein schlechter?«
»Von beidem etwas.«
Laurie stützte sich mit den Händen auf die Spüle. »Dann sieht es wohl so aus, als möchtest du nicht von deinem Tag erzählen.«
»So ähnlich«, versuchte Jack auszuweichen. Er fühlte
sich in die Enge getrieben. »Ich habe die Kreuzzug-Idee irgendwie fallen lassen.«
»Warum?«
»Weil niemand Kritik an der Alternativmedizin hören will, am allerwenigsten diejenigen, die sie nutzen. Und das sind eine ganze Menge. Die einzige Möglichkeit, ihnen die Augen zu öffnen, wäre es, ihnen Unmengen von Fällen zu präsentieren, die ich aber nicht finden werde. Ich bin ganz sicher, dass es in den Akten des OCME Hunderte solcher Fälle gibt, aber sie sind weggeschlossen, und da komme ich nicht ran. Ich drehe mich im Kreis. Das Schlimmste ist, dass der Kreuzzug mich nicht einmal genug von du-weißt-schon-was ablenkt.«
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Dabei hielt ich es für eine so gute Idee, als du mir am Montagabend davon erzählt hast. Es tut mir leid.«
»Hey, das ist doch nicht deine Schuld.«
»Ich weiß, aber es tut mir trotzdem leid. Eine Ablenkung würde dir guttun. Ich könnte selbst eine gebrauchen. «
Jack zuckte bei ihrer Bemerkung zusammen, weil sie sein allgegenwärtiges Schuldgefühl, er würde sie mit JJs Krankheit im Stich lassen, noch verstärkte. »Das glaube ich dir gerne«, sagte er. »Möchtest du dir das mit der Pflegerin für JJ vielleicht noch einmal überlegen, damit du wenigstens halbtags wieder zur Arbeit gehen könntest?«
»Auf keinen Fall!«, sagte Laurie in scharfem Ton. »Ich habe das nicht gesagt, um dieses Thema wieder auf den Tisch zu bringen.«
»Okay, okay«, bekräftigte Jack, der sie schon verstanden hatte.
»Hat irgendjemand irgendetwas über JJ gesagt, seit du gestern mit Bingham und Calvin gesprochen hast?«
»Niemand außer Bingham selbst.«
»Das ist gut. Vielleicht halten sie ja ihr Versprechen und respektieren unsere Privatsphäre.«
Jack ging hinüber zu dem Laufstall und sah auf seinen Sohn hinunter. Er wollte sich bücken, ihn auf den Arm nehmen, ihn an seine Brust drücken, sein Herz klopfen hören, seine Wärme spüren und seinen Duft, seinen süßen Duft riechen, aber er traute sich nicht.
Es gab noch einen weiteren Grund, der ihn davon abhielt, JJ hochzunehmen. Er würde wahrscheinlich anfangen zu weinen. Jack war davon überzeugt, dass die enormen Schmerzen, die der Tumor in seinen Knochen auslöste, noch verstärkt würden, wenn man ihn auf den Arm nahm.
»Er war heute ein richtiger Soldat«, sagte Laurie, die Jack zusah, während er das Baby betrachtete. »Ich hoffe, das ist der Anfang einer neuen Entwicklung, denn es war eine harte Woche.«
»Soll ich es wagen, ihn hochzunehmen?«, fragte Jack, der dahinschmolz, als er sah, dass JJ ihn anlächelte.
»Na ja …«, überlegte Laurie. »Es wäre vielleicht besser, ihn in Ruhe zu lassen, wenn er gerade so schön friedlich ist.«
»Das hatte ich befürchtet«, sagte Jack erleichtert.
Schuldbeladen wendete sich Jack von JJ ab. Er trat hinter Laurie und massierte ihre Schultern. Sie schloss die Augen und gab sich seinen Händen hin.
»Das kannst du gerne noch eine halbe Stunde so weitermachen«, schnurrte sie.
»Du hast es ja auch verdient. Deine Geduld mit JJ ist immer wieder faszinierend. Ich bin dir dafür sehr dankbar. Ich will jetzt nicht darauf herumreiten, aber ich glaube nicht, dass ich das könnte.«
»Bei dir ist es etwas anderes. Du hast bereits zwei Kinder verloren.«
Jack nickte. Laurie hatte recht, aber daran wollte er jetzt nicht denken.
»Tut mir leid, dass es heute so geregnet hat. Der Regen bringt dich sicher um dein Basketballspiel heute Abend.«
»So was passiert eben«, sagte Jack deprimiert. Er freute sich immer sehr auf die Ablenkung
Weitere Kostenlose Bücher