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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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von der mitochondrialen DNA retten können. Das wird diesem Fund eine ganz neue Dimension verleihen.«
    Shawn öffnete den Reißverschluss seines Rucksacks und holte eine Verlängerungsschnur, einen Föhn, einen kleinen Hammer und einen Meißel heraus.
    »Wie wär’s, wenn wir uns jetzt alle Kittel, Handschuhe und Schutzhauben anziehen«, schlug Sana vor. »Ich möchte nicht das kleinste Risiko eingehen, dass wir die DNA kontaminieren könnten.«
    »Von mir aus«, sagte Shawn und blickte zu Jack.
    »Absolut«, sagte Jack. »Allerdings solltet ihr vorher noch den Haftungsausschluss unterschreiben.«
    Nachdem das Ehepaar alle gesetzlichen Papiere unterzeichnet hatte, die das OCME davon freisprachen, für Schäden welcher Art auch immer zu haften, gingen die drei mit wachsender Vorfreude in den Ankleideraum.
    »Als ich das erste Mal daran dachte, Archäologe zu werden, glaubte ich, dass diese Art von maßgeblichen historischen Entdeckungen zu meinem Alltag gehören würden«, sagte Shawn, als er sich den Kittel anzog. »Leider ist es nicht so, und deshalb genieße ich jetzt jede Sekunde.«
    »In der Molekularbiologie haben wir solche Erlebnisse alle naselang«, sagte Sana, die sich ihre Handschuhe überzog.
    »Wirklich?«, fragte Shawn.
    »Ich mache nur Spaß«, sagte Sana. »Los, ihr zwei! Ihr wisst genau, dass Wissenschaft eine sehr schleichende Angelegenheit mit nur wenigen Aha-Erlebnissen ist. Ich gebe zu, dass ich in meiner ganzen Karriere noch nie so aufgeregt war wie jetzt. Nicht einmal annähernd.«
    Nachdem sich alle drei mit Schutzkleidung, Handschuhen und Masken ausstaffiert hatten, ging Shawn in den Außenraum zurück. Er schloss den Föhn an und schaltete
ihn auf die höchste Stufe. Er hielt ihn wie einen Gasbrenner und blies die heißt Luft in die karamellfarbene, mit Wachs gefüllte Kerbe zwischen der Seitenwand und dem Deckel. Nach einer Weile war das Wachs weich genug, sodass er den Meißel dazwischenschieben konnte. Nach ein paar Schlägen mit dem Hammer stieß der Meißel auf Stein.
    »Es wird ein bisschen länger dauern. Der Deckel des Ossuariums ist dicker, als ich dachte. Tut mir leid, Leute.«
    »Lass dir Zeit!«, sagte Sana.
    »Meinetwegen musst du dich nicht beeilen«, sagte Jack.
    Langsam Zentimeter für Zentimeter arbeitete sich Shawn um das gesamte Ossuarium herum. Erst erwärmte er das Wachs mit dem Föhn, dann stach er mit dem Meißel hinein und klopfte mit dem Hammer so lange darauf, bis er an Kalkstein stieß. Nachdem er einmal rundherum war, steckte er den Meißel hinein und versuchte, ihn zu drehen. Der Deckel gab nicht nach. Er schob den Meißel in der Kerbe entlang und probierte es erneut. Wieder nichts. Auch an der nächsten Stelle nicht. An einer weiteren neuen Stelle dann hörte er ein leises Knacken.
    »Ich glaube, ich konnte ihn ein Stück bewegen«, sagte Shawn. Er fasste neuen Mut, war aber besorgt, dass ein Teil des Deckels abbrechen könnte, wenn er zu viel Kraft einsetzte. Das Ossuarium hatte zwei Jahrtausende unbeschädigt überstanden, und er wollte, dass das so blieb.
    »Geht das nicht ein bisschen schneller«, sagte Sana, die außer sich war vor Spannung. Aus ihrer Sicht machte es den Eindruck, als wolle Shawn seinen Part nur unnötig in die Länge ziehen.
    Shawn machte eine Pause und sah seine Frau an. »Du bist nicht gerade hilfreich«, fauchte er sie an. Er brachte sich in eine andere Position und machte sich wieder an
die Arbeit. Es war nicht abzusehen, wie lange es dauern würde oder ob es überhaupt funktionieren würde.
    Als er gerade aufhören wollte, um die Situation noch einmal zu überdenken, hörte er wieder ein Knacken, und sein Herz machte einen Satz. Schnell zog er den Meißel heraus und hoffte, einen Spalt in dem Kalkstein sehen zu können, aber da war keiner. Er fuhr mit seiner Hand am Rand entlang und suchte nach einem Riss, den er vielleicht aus irgendeinem Grund nur fühlen, aber nicht sehen konnte. Aber er spürte keinerlei Unebenheiten.
    Vorsichtig steckte er den Meißel wieder hinein und begann zaghaft, ihn erneut zu drehen. Zu seiner Erleichterung ließ sich der Deckel nun im Ganzen von der Kiste abheben. Er hatte es geschafft. Er sah die anderen an und nickte. »Das war’s«, sagte er und griff beide Enden des Deckels mit seinen Händen. Vorsichtig hob er ihn an und legte ihn auf den Tisch. Nun lehnten sich alle nach vorn und starrten in das Ossuarium, das zweitausend Jahre lang versiegelt gewesen war.

Kapitel 21
9:48 Uhr, Samstag, 6. Dezember

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