Obduktion
benutzte, und fuhr damit in das oberste Stockwerk. Nachdem er die Fahrstuhlkabine im schmalen oberen Flur wieder verlassen hatte, hämmerte er gnadenlos an die beiden Türen und rief laut, dass er seine beiden Sekretäre umgehend in seinem Büro erwartete. Nach dieser überraschenden Durchsage kehrte er, ohne eine Antwort abzuwarten, zum Fahrstuhl zurück und fuhr zwei Etagen abwärts. In seinem Büro angekommen schaltete er die Lampen an, setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wartete auf die aufgescheuchten Sekretäre. Noch niemals zuvor hatte James sie gestört, nachdem sie sich abends bereits zurückgezogen hatten.
Pater Maloney kam als Erster herein. Er hatte nur einen karierten Morgenmantel über den Pyjama gezogen und erinnerte James wegen seiner Größe, des dünnen Körpers und des hageren Gesichts an eine Vogelscheuche. Sein kurz geschnittenes, rotes Haar schien sogar gewisse Ähnlichkeit mit Kornähren zu haben, wie es in alle Richtungen vom Kopf abstand.
»Wo ist Pater Karlin?«, erkundigte sich James, ohne irgendeine Erklärung für dieses beispiellose nächtliche Treffen anzubieten.
»Er hat mir durch die verschlossene Tür zugerufen, dass er so schnell wie möglich kommen würde«, sagte Pater Maloney. Er verstummte, als erwartete er eine Erklärung für das, was der Erzbischof vorhatte – vergeblich.
James trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. Gerade als er das Telefon nehmen und in Pater Karlins Zimmer anrufen wollte, kam der Mann ins
Büro. Anders als Pater Maloney ging er vom Schlimmsten aus – nämlich noch für Stunden wach bleiben zu müssen – und hatte sich vollständig angekleidet, wozu unter anderem auch der gestärkte, weiße Kragen der Kirchenleute gehörte.
»Bitte verzeiht mir, dass ich eure Gebete gestört habe«, fing James an. Er ließ die Sekretäre Platz nehmen. Dann legte er die Fingerspitzen gegeneinander und fuhr fort: »Es ist eine Situation entstanden, die ich einen Notfall nennen würde. Ich kann Ihnen keine weiteren Erklärungen geben, aber Sie müssen mir umgehend jemanden suchen, der charismatisch, überzeugend und zugleich anziehend ist. Aber das Wichtigste von allem, er oder sie muss absolut leidenschaftlich und voller Eifer für die Heilige Jungfrau Maria sein – je mehr, desto besser. Außerdem sollte die Person der Kirche treu ergeben sein und ein Gespür dafür haben, was es bedeutet, eine besondere Mission zu erfüllen.«
Die beiden Priester schauten einander an. Jeder hoffte, der andere möge den Auftrag vielleicht besser verstanden haben und wissen, was als Nächstes zu tun sei. Schließlich ergriff Pater Maloney als dienstälterer Sekretär das Wort. »Wo könnten wir so jemanden finden?«
Aufgeregt, wie er war, hatte James nur wenig Geduld für das, was er bei seinem Sekretär als negative Einstellung interpretierte. Er verdrehte die Augen über Pater Maloneys lächerliche Frage. »Muss ich Ihnen wirklich sagen«, fragte James mit unverhohlener Enttäuschung, »wo Sie die hingebungsvollsten Anhänger Marias, der Muttergottes, finden?«
»Ich vermute, unter den Mitgliedern der marianischen Bewegung in der katholischen Kirche. Und in den dazugehörigen Gemeinschaften.«
»Sehr gut, Pater Maloney«, entgegnete James mit einer
Spur Sarkasmus, als spreche er in der Sonntagsschule zu einer Klasse von Vorschülern. »Ich möchte, dass Sie die entsprechenden Institutionen anrufen und mit den Äbten, den Vorsteherinnen und den Bischöfen reden, sobald es hell wird. Sagen Sie ihnen, dass es eine erzdiözesische Notwendigkeit ist, die richtige Person aufzuspüren. Sagen Sie ihnen auch, dass es sich hierbei um eine höchst dringende Angelegenheit handelt und dass die entsprechende Person ungefähr eine Woche lang unter meiner Leitung mit einem Auftrag befasst sein wird, der von großer Wichtigkeit für die gesegnete Jungfrau und die ganze Kirche ist. Machen Sie ihnen klar, dass es nicht darum geht, jemanden für zurückliegende Verdienste zu belohnen. Es geht ums Hier und Jetzt. Ich suche keine alten und ehrwürdigen Marienscholaren. Ich suche einen jungen Menschen, der mit jugendlichem Eifer erfüllt ist und die Begabung besitzt, diesen Eifer anderen zu vermitteln. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
Pater Maloney und Pater Karlin nickten hastig. Sie hatten ihren normalerweise sehr selbstbeherrschten Vorgesetzten noch nie so aufgeregt erlebt.
»Ich würde es selbst erledigen, aber ich muss morgen früh eine Messe abhalten, für
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