Obduktion
sie keinerlei Kontamination im Laborraum, da sie eventuell einige der Proben erneut testen musste oder, abhängig davon, was sie finden würde, sogar eine ganz neue Probe anlegen musste. Nachdem sie ihre Handschuhe, den Kittel, die Haube und ihre Schuhschoner angelegt hatte, ging sie ins Labor direkt zum Sequenzer. Sie nahm den Stapel Papiere aus dem Drucker und fing an, die für sie interessanten Daten auszusortieren. Sie brauchte dafür nur ein paar Minuten, und als sie damit fertig war, hielt sie drei Blätter in der Hand, auf die sie erst einen und dann noch einen weiteren Blick warf. Sie schüttelte den Kopf und schaute ein drittes Mal auf die Seiten. Das konnte doch einfach nicht
stimmen, aber sie hatte eigentlich nicht vor, alle 16 484 Basispaare auf den drei Seiten zu vergleichen. Ihr wurde plötzlich ein wenig schwindlig, und sie musste sich hinsetzen. Das Vergleichen würde der Computer für sie übernehmen, dafür war er schließlich da. Sie versuchte zu begreifen, was die Ergebnisse bedeuteten, aber aus ihrer Sicht und Erfahrung war das, was sie da sah, einfach nicht möglich.
Sana überprüfte das Ergebnis noch einmal, um ganz sicher zu sein, doch das Problem blieb bestehen: Die mitochondriale DNA-Sequenz aus dem Zahn, den Sana aus dem Schädel des Skelettes gezogen hatte, stimmte in jedem der 16 484 Basispaare mit dem Profil einer Frau der Jetztzeit überein. Sana hatte dem Computer den Befehl gegeben, die Sequenzen nach Beendigung der Arbeit mit der modernsten Datenbank für mitochondriale DNA, dem CODIS 6.0, abzugleichen.
In der Gegenwart eine hundertprozentige Übereinstimmung zu finden, war nichts Besonderes, das kam bei eineiigen Zwillingen vor. Aber die Frau aus dem Ossuarium war mehr als zweitausend Jahre alt. Diese erste Übereinstimmung war schon außergewöhnlich, doch die zweite war geradezu fantastisch und für Sana völlig unerklärlich. Sie schaute auf ihre Daten und schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein«, rief sie laut. »Das ist einfach unmöglich.«
Sie sprang auf, rannte aus dem Labor durch den Umkleideraum und erreichte außer Atem das Büro. Shawn und Jack schreckten beide hoch, aber das war Sana egal. »Das Unmögliche ist passiert«, keuchte sie.
Jack, der seinen Schreck schneller überwand als Shawn, ging zu ihr und nahm ihr das Blatt aus der Hand, das sie ihm entgegenstreckte. Er war erpicht auf eine Erklärung.
»Das hier ist die mitochondriale DNA-Sequenz der
Frau aus dem Ossuarium«, sagte sie und schlug mit dem Handrücken auf die Seite, die Jack in der Hand hielt. »Das ist genau die gleiche Sequenz wie die einer Frau, die heute in Palästina lebt«, fuhr sie fort und reichte Jack die zweite Seite.
»Und diese Sequenz«, sie drückte Jack den dritten Ausdruck in die Hand, »stimmt vollkommen mit der mitochondrialen Eva überein!«
Jack blickte zweifelnd von den Blättern auf. »Was meinst du mit mitochondriale Eva?«
»Das ist eine Sequenz, die ein Supercomputer nach wochenlangen Rechenoperationen herausgefunden hat. Ziel war es, die Ursprungs-DNA über die weibliche Linie zurückzuverfolgen. Das Projekt hieß Matrilineal Most Recent Common Ancestor, kurz MRCA«, erklärte Sana. »Mit anderen Worten, das ist die Sequenz der ersten Vorfahrin, und dabei sind auch alle Permutationen der über sechzehntausend Basispaare der mitochondrialen DNA mit eingerechnet.«
»Die statistische Chance, dass so etwas passiert, ist gleich null«, sagte Jack.
»Genau, und deshalb ist das auch unmöglich.«
»Worüber redet ihr überhaupt?«, fragte Shawn, der nun hinter den beiden stand.
Sana wiederholte ihre Erklärung für ihn, aber Shawn war wenig beeindruckt.
»Da ist irgendein Fehler im System passiert«, meinte er nur.
»Das glaube ich nicht«, sagte Sana. »Ich habe Hunderte dieser Sequenzen gemacht und niemals zuvor ist etwas schiefgegangen. Warum also ausgerechnet jetzt?«
»Hast du noch etwas von deiner Probe aus dem PCR?«, fragte Jack.
»Hab ich«, antwortete Sana.
»Warum machst du nicht einfach noch einen Durchlauf der Sequenzen und eine weitere Analyse?«
»Gute Idee«, stimmte Sana ihm zu.
»Wartet mal eine Sekunde«, sagte Shawn und hielt eine Hand hoch. »Lasst mich eine Frage stellen und dann sagt mir, dass ich verrückt bin und verdammt noch mal die Klappe halten soll. Okay?«
»Okay«, sagten Sana und Jack fast wie aus einem Munde.
»Also«, begann Shawn, »hier ist die einzige Möglichkeit, wie dieses statistisch unmögliche Ergebnis entstanden
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