Obduktion
Wortes ›Simonie‹.«
»Und was ist mit Basilides?«
»Er war ein sehr tüchtiger Mann hier in Ägypten, besser gesagt in Alexandria, und ein wunderbarer Schriftsteller. Er war außerdem bekannt als einer der ersten Gnostiker, insbesondere, weil er dem Gnostizismus einen andersartigen,
christlichen Stempel aufdrückte, indem er seine gnostische Theologie auf Jesus konzentrierte.«
»Hilf mir«, bat Sana. »Den Begriff Gnostizismus habe ich schon gehört, aber ich kann ihn nicht erklären.«
»Um es einfach auszudrücken, es war eine Bewegung, die dem Christentum vorausging und die schließlich die heidnischen Religionen, das Judentum und dann auch das Christentum in einer einzigen Sekte zusammenfasste. Der Name Gnostizismus stammt von dem griechischen Wort ›Gnosis‹ und bedeutet so etwas wie ein religiöses Geheimwissen. Für die Gnostiker war das Wissen vom göttlichen Sein das ultimative Ziel, und die, die dieses Wissen hatten, glaubten, den Funken des Göttlichen zu haben. Das ging so weit, dass Menschen wie Simon Magus sogar davon überzeugt waren, selbst zumindest teilweise göttlich zu sein.«
»Und du behauptest immer, meine Genforschung sei kompliziert«, spottete Sana.
»Aber so kompliziert ist es gar nicht. Also weiter mit Basilides. Er war nämlich einer der ersten Gnostiker, die auch Christen waren, obwohl es die Bezeichnung ›Christen‹ damals noch gar nicht gab. Er glaubte, dass Jesus der ersehnte Messias war. Er glaube jedoch nicht, dass Christus gekommen war, um die Menschheit durch seine Leiden am Kreuz von ihren Sünden zu befreien, so wie alle anderen Christen es glaubten. Stattdessen glaubte Basilides, dass Jesus’ Mission dem Zwecke der Erleuchtung oder der Gnosis diente, um den Menschen zu zeigen, wie sie aus der materiellen Welt ausbrechen und Erlösung erlangen konnten. Die Gnostiker wie Basilides glaubten stark an die griechische Philosophie und die persische Mythologie, aber sie hielten wenig von der materialistischen Welt. Sie dachten, sie würde die Menschheit verführen und sei die Quelle aller Sünden.«
Sana beugte sich über den Brief, um ihn genauer zu betrachten. Von Weitem wirkte die Schrift einheitlich und wie von einer Maschine gedruckt, aber bei näherer Betrachtung bewiesen kleine Unregelmäßigkeiten, dass es von Hand geschrieben war. »Ist dies ebenfalls Koptisch? «, fragte sie.
»Nein, der Brief ist in Altgriechisch geschrieben«, sagte Shawn, »was nicht verwunderlich ist. Griechisch, mehr noch als Latein, war seinerzeit die gängigste Sprache, ganz besonders am östlichen Mittelmeer. Alexandria, gegründet von der Armee Alexanders des Großen, wie schon der Name vermuten lässt, war eines der Zentren der hellenistischen Welt.«
Sana lehnte sich wieder zurück. »War dieser Brief Teil des Kodex, oder wurde er als Ergänzung hinzugefügt?«
»Ganz sicher war es keine Ergänzung«, sagte Shawn geheimnisvoll. »Es geschah mit voller Absicht, allerdings nicht aus dem Grund, den du vielleicht vermutest. Weißt du noch, wie ich den Buchdeckel beschrieben habe? Zusammen mit den anderen Papyrusfetzen war der Brief hinter dem Leder platziert, um den Eindruck zu erwecken, das Buch hätte einen festen Einband. Ich hatte bereits davon gehört, dass dies auch bei anderen Bänden dieses speziellen Fundes von Kodizes gemacht wurde.«
»Hast du etwa mehr als ein Buch entdeckt?«
»Nein, ich hab nur dieses eine, aber ich habe es sofort erkannt. Komm, setz dich hin. Ich habe dir einiges zu erklären, vor allem, warum wir morgen nicht abreisen werden, wie ursprünglich geplant.«
»Was erzählst du denn da?«, widersprach Sana. »Ich muss dringend zurück, um zahlreiche Experimente zu retten.«
»Deine Experimente müssen eben warten. Wenigstens
einen Tag, allerhöchstens zwei.« Shawn legte seine Hand auf Sanas Schulter, damit sie sich wieder hinsetzte.
»Du kannst ja hierbleiben, wenn du willst, aber ich fahre nach Hause«, sagte sie und schob seine Hand von ihrer Schulter. Sie wollte sich von ihm nichts vorschreiben lassen.
Einen Moment lang sahen sich beide finster an, doch dann entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder.
»Du hast dich verändert«, bemerkte Shawn nach einer Weile. Ihre unerwartet rebellische Ansage hatte ihn eher überrascht als verärgert.
»Und du hast dich nicht verändert?«, gab sie zurück. Sie bemühte sich, ihre Wut nicht durchklingen zu lassen. Sie wollte keinesfalls eine unnötig lange, emotionale Diskussion anfangen. Außerdem hatte
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