Obduktion
Petersdoms angrenzte. Dort hatten sie nun nicht mehr nur mit dem Regen zu kämpfen, sondern auch mit den Sturzbächen der Wasserspeier und den Spritzern der vorbeirasenden Autos, die die Vatikanstadt verließen.
Mit dem Kopf die Richtung weisend, fragte Shawn: »Siehst du den flachen, schwarzen Stein mit der weißen Umrandung, der dort im Boden steckt?«
»Ja«, sagte Sana mit wenig Begeisterung. Sie war vollauf damit beschäftigt, dem Regen zu entkommen.
»Erinnere mich daran, dir davon zu erzählen, wenn wir endlich im Trockenen sind.«
Glücklicherweise hatten sie es nicht mehr weit, und einen kurzen Moment später fanden sie in einem Säulengang Unterschlupf. Sie schüttelten das Wasser ab und stampften mit den Füßen auf.
»Dieser schwarze Stein auf dem Platz soll angeblich die genaue Mitte von Neros Zirkus markiert haben, in dem viele der frühen Christen, auch Petrus, zu Tode gefoltert wurden. Der Obelisk, der nun in der Mitte des Petersplatzes steht, stand viele Jahre hier.«
»Lass uns bitte hineingehen«, sagte Sana. Sie hatte momentan kein Ohr für touristische Details. Sie war nass und fror, und es war mittlerweile dunkel geworden.
Ein paar Schritte weiter betraten sie das Büro der vatikanischen
Nekropole. Abgesehen von der Tatsache, dass dieser marode Raum sie an das Büro eines Schuldirektors erinnerte, war sie froh, endlich im Trockenen zu sein. In einer Ecke schnaufte ein altmodischer Heizkörper. Sie standen vor einem Tresen mit einem abgewetzten Schreibtisch, der Staatseigentum sein musste. Dahinter tauchte der Kopf eines Mannes auf. Seinem Gesicht nach zu urteilen war er nicht gerade begeistert von der Störung.
»Die Nekropole ist für heute geschlossen«, sagte er mit starkem Akzent. »Die letzte Führung war vor einer halben Stunde.«
Wortlos überreichte Shawn dem Mann seinen Ausweis und seine Zutrittsberechtigung. Der Mann sah sich beides genau an. Als er Shawns Namen las, begannen seine Augen zu leuchten. Er hob seinen Kopf und lächelte. »Professor Daughtry! Buona sera.« Wie sich herausstellte, erinnerte sich der Mann an Shawns Namen von den Arbeiten vor fünf Jahren. Er stellte sich ihnen als Luigi Romani vor.
Shawn konnte sich an diesen Namen nur vage erinnern.
»Wollen Sie runter zur Ausgrabungsstätte?«, fragte Luigi.
»Ja, aber nur kurz. Wir sind heute Nachmittag in Rom angekommen und reisen schon morgen wieder ab. Ich wollte meiner Frau gern ein paar der interessanten Details zeigen. Es wird nicht lange dauern.«
»Wollen Sie später wieder hier heraufkommen oder den Ausgang durch die Basilika nehmen, so wie die Gruppe, die dort unten ist? Ich werde nämlich nicht mehr lange hier sein.«
»Wenn das so ist, werden wir den Weg nehmen, den auch die Gruppe nimmt.«
»Muss ich Sie reinlassen?«
»Nein. Wenn die Schlösser nicht ausgetauscht wurden, habe ich noch meine eigenen Schlüssel.«
»Ausgetauscht? Solche Dinge werden hier nie ausgetauscht«, sagte Luigi lachend.
Sie verließen das Büro, und Shawn führte Sana einen abschüssigen, menschenleeren Marmorflur hinunter. »Wir sind hier praktisch nur etwa drei Meter unter der Ebene der Basilika.«
»Stört es dich nicht, dass Mr Romani dich erkannt hat?«
»Eigentlich nicht«, sagte Shawn mit gedämpfter Stimme. »Da außer uns niemand von dem Ossuarium weiß, wird es auch niemanden stören, wenn wir es mitnehmen, falls wir es finden.«
Sie erreichten eine lange Marmortreppe, die mehr als eine Etage in die Tiefe führte. Shawn begann, sie hinabzusteigen.
Sana zögerte und zeigte geradeaus. »Wo führt dieser Flur hin?«
»Er endet in der neueren Krypta unter der des Petrusgrabs. «
Am Ende der Treppe befand sich ein schmaler, steinerner Durchgang, der durch ein abgeschlossenes Metallgitter versperrt war. »Machen wir den Test«, sagte Shawn und zog einen Schlüsselbund aus der Tasche. Er fand auf Anhieb den richtigen Schlüssel, denn er glitt mit Leichtigkeit in das Schlüsselloch. »So weit, so gut«, sagte er. Er zögerte einen Moment, nahm all seinen Mut zusammen und drehte ihn im Schloss. Zu seiner Freude öffnete sich das Gitter.
Nachdem sie durch eine Sicherheitstür hindurch und noch weitere Stufen hinabgestiegen waren, erreichten sie die Ebene, die zu römischen Zeiten noch ebenerdig gewesen war.
»Ganz schön feucht hier unten«, sagte Sana. Sie war nicht gerade erfreut.
»Stört dich das?«
»Nur, wenn das Siegel des Ossuariums beschädigt ist.«
»Ach ja«, sagte Shawn, als ihm wieder
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