Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
nicht heiraten?« Wenn Ada tatsächlich fünfunddreißig ist, wurde sie in dem Jahr geboren,
als Henk starb. 1967.
»Ja«, sage ich. »Riet.«
»Henk und Riet«, sagt Ada. »Das klingt schön.«
»Ja.«
»Er hatte also eine Freundin, und du nicht?«
»Nein.«
»Seltsam.«
»Ach, so kann’s eben gehen.« Ich höre die Tür zur Waschküche. Lange bevor jemand in der Küchentür erscheint, wissen wir, wer es ist.
»Schreit nicht so«, ruft Ada.
Teun und Ronald kommen in die Küche und bleiben mit hängenden Schultern links und rechts neben ihrer Mutter stehen. »Hallo, Helmer«, sagt Teun. Ronald sagt nichts, er schaut starr auf die Packung Törtchen auf dem Tisch.
»Was treibt euch zwei denn her?« fragt Ada.
»Vater bittet dich, nach Haus zu kommen«, sagt Teun.
»Warum?«
Teun denkt kurz nach. »Das weiß ich nicht.«
»Weißt du’s nicht, oder hast du’s vergessen?«
»Vergessen«, sagt Ronald.
»Dann laßt uns mal gehen«, sagt Ada. Sie steht auf. »Habt ihr Helmers neues Zimmer schon gesehen?«
»Nein«, antwortet Teun.
»Schaut mal kurz rein.« Sie folgt den Jungen ins Wohnzimmer.
Teun und Ronald rufen um die Wette »Oh« und »Ah«, weil sie glauben, daß mich das freut. Das tut es. Es freut mich, daß Menschen im Zimmer sind unddort herumgehen und reden, während ich hier in der Küche sitze.
Sie gehen durch die Vordertür hinaus. Mitten auf dem Kiesweg dreht Ada sich um. »Ich hab ganz vergessen zu erzählen, daß der Junge von Kopers – weißt du? –, vom Buitenweereweg . . .«
»Jarno, schießen!« ruft Ronald. Ein Fußballheld. Er selbst spielt in der E- oder F-Jugend.
»Ja, Jarno, der wird einen Hof in Dänemark übernehmen. Oder wußtest du das schon?«
»Nein«, antworte ich, »das wußte ich noch nicht.«
»In Jütland, glaube ich. Da gibt’s noch genug Platz. Bestellst du deinem Vater Grüße?«
»Werd ich machen«, sage ich und schließe die Tür.
Ich stehe in der Schlafzimmertür und betrachte die Wolldecken auf meinem Einzelbett. Die obere Decke hat fransige Ränder. Dann drehe ich mich um und schaue die leeren Wohnzimmerwände an. Irgendwas an Kunst.
»Helmer!« schreit der Alte oben.
Ich lege mich auf das Sofa mit Mutters Stoff und schließe die Augen. Dänemark.
9
Dänemark. Jütland, Seeland, Fünen, Bornholm, Großer Belt, Kleiner Belt, Odense. Adas Bericht hat irgend etwas in mir ausgelöst. Welliges Land, weites Land, Heideland. Jarno Koper ist ein Bauernsohn, der von allem hier genug hat. Ein dunkler Typ, noch jung, um die fünfundzwanzig dürfte er sein. Wenn wir mal ein paar Worte wechseln – was sehr selten vorkommt –, sagt erimmer Sachen wie »elender Sumpf hier«. Er geht weg, er hat den Mut, einfach nach Dänemark zu gehen. Altes Land; das »Mark« im Namen hat, glaube ich, etwas mit Deutschland in früheren Zeiten zu tun, ich muß das mal im Wörterbuch nachsehen. Ich richte mich auf und schaue zu der Stelle neben dem Sofa. Das niedrige Schränkchen mit den Heimatromanen, die Mutter immer las, steht nicht mehr dort. Ich werde nach oben müssen.
»Helmer!«
»Ja, ja, ja«, murmele ich, während ich das Wörterbuch zwischen den Heimatromanen hervorziehe. Ich sitze auf Henks Bett, meine Knie berühren das niedrige Schränkchen. Irgendwann muß ich für all das einen besseren Platz finden, so kann man sich hier kaum noch bewegen, und der Frisiertisch steht genau vor der Tür des Einbauschranks. In dem Schrank sind Sachen von mir. Das Übliche: Dinge, die man nicht wegwerfen will oder kann, an die man aber eigentlich keinen Gedanken mehr verschwendet. Da haben wir Mark . Ein Grenzgebiet des Fränkischen oder Deutschen Reiches. Diese fiesen Deutschen. Das Stück Land am Rande unseres Reiches, wo die Dänen wohnen. Es hat auch noch eine andere Bedeutung: gemeinschaftlich genutzter Grund. Heißt Marken deshalb Marken?
»Helmer!«
Ich schlage das Wörterbuch zu, stelle es wieder zwischen die Heimatromane und gehe zur Tür. Mutter konnte abends stundenlang lesen. »Romantische Seele«, murmelte Vater manchmal, wenn er sich ins Schlafzimmer zurückzog, Stunden vor ihr. Es klang immer unfreundlich.Ich mache zweimal täglich ein großes Geschäft. Das erste Mal gleich nach dem Melken, das zweite Mal nach dem Kaffeetrinken. Ganz selten habe ich später am Tag noch einmal ein Bedürfnis – wenn, dann meist abends –, und das ignoriere ich immer.
Wenn ich dran denke, trage ich Vater die Treppe hinunter und setze ihn auf die Toilette. Dann mache ich die
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