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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Koppel.«
    Er bietet wie selbstverständlich seine Hilfe an. Dabei hätte er einfach sagen können, daß er morgen wiederkommt. Wir gehen auf die Koppel und treiben die Schafe Richtung Zaun. Er greift sich eins, ich greife mir zwei. Die übrigen nehmen Reißaus. Als er das Gatter geöffnet und sein Schaf auf die angrenzende Koppel gelassen hat, übernimmt er eins von meinen. Wir treiben die drei Schafe zum Zaun hinter dem Hof. Ich klettere über das Gatter und hole aus der Scheune zwei lose Hürden, die ich links und rechts von der heruntergeklappten Heckrampe des Viehtransporters aufstelle. Zwischen den Treibhürden und dem Zaun sind höchstens fünf Meter Zwischenraum. Dann öffne ich das Gatter im Zaun, und eins der Schafe läuft geradewegs in den Wagen. Die anderen beiden folgen. Der Viehhändler klappt die Rampe hoch und macht sie fest.
    »War keine große Sache«, meint er.
    »Hätte schlimmer sein können«, sage ich.
    Er streckt zum Abschied den Zeigefinger in die Luft und steigt ein. Langsam fährt er Richtung Damm, dann biegt er noch langsamer auf die Straße ein.
    Ich schließe das Gatter. Die übrigen zwanzig Schafe stehen zusammengedrängt bei der Mühle, in der am weitesten entfernten Ecke der Koppel.

    Am Abend, kurz bevor ich ins Bett gehe, schneide ich mir die Finger- und Zehennägel und stehe lange unter der Dusche. Ich lasse den Ofen auf niedriger Stufe brennen, die Tür zum Schlafzimmer bleibt offen. Ich sehe mich nackt in ganzer Länge in dem großen Spiegel, der über dem Kaminsims hängt. Plötzlich habe ich Lust, Schlittschuh zu laufen und danach die wohligeMüdigkeit der Muskeln in meinen Beinen und im Hintern zu spüren. Die Glut des Ofens brennt auf meinem Geschlecht. Ich krieche zum ersten Mal unter die Steppdecke. Die Wärme zwischen den Beinen verschwindet schnell; die neue Bettwäsche sticht, und ich mache die ganze Nacht kaum ein Auge zu.
14
    Teun und Ronald bündeln die Weidenzweige. Sie legen ein Stück Kordel auf den Boden, werfen beide einen Armvoll Zweige darauf und verknoten die Schnur. Die Bündel tragen sie durch den Vorgarten auf den Hof. Jedesmal, wenn sie an einem der beiden Fenster vorbeikommen, winken sie mir zu. Vor mir auf dem Küchentisch liegen eine Telefonrechnung und ein Brief mit handgeschriebener Adresse. Ada hat mir beides gebracht; kurz bevor sie mit dem kleinen Anhänger am Wagen auf den Hof kam, fuhr der Briefträger weg. Es ist Samstag.
    Ich würde den Brief gern öffnen, aber Ada steht immer noch auf der Schwelle meines Schlafzimmers. Gerade hat sie den Bettbezug befühlt. »Bezüge muß man erst waschen!« ruft sie mir zu. »Neu sind die immer dermaßen steif!« Ich nicke Ronald zu, der winkend am Vorderfenster vorbeigeht. Ich folge ihm in Gedanken, und genau in dem Augenblick, in dem er das Seitenfenster erreichen müßte, taucht er dort auf. Wieder winkt er. Er trägt eine Mütze, und ein bißchen Rotz läuft ihm aus seiner roten Nase. Er ist fröhlich, er ist immer fröhlich, auch wenn er kalte Finger hat und – wie jetzt – im Gemüsegarten über einen Grünkohl stolpert.
    »Wirklich schön.«
    Ich schrecke auf.
    Ada steht in der Tür und hält den Kopf ein bißchen schief, als würde sie horchen. »Irgend etwas fehlt«, sagt sie. »Im Wohnzimmer.«
    »Sessel?«
    »Nein.« Sie denkt nach. »Ein Geräusch.«
    »Die Uhr?«
    »Ja, die Uhr. Wo ist die geblieben? Die hast du doch nicht auf den Holzhaufen geworfen?«
    »Nein. Sie steht oben bei Vater.«
    »Aha«, sagt Ada. Sie schaut auf meine Hände. »Von wem ist der Brief?«
    »Ich weiß nicht, ich muß ihn erst aufmachen.«
    »Alles in Ordnung mit deinem Vater?«
    »Unverändert.«
    »Kommt er ab und zu noch runter?«
    »Manchmal. Er schläft viel.«
    »Ja, ja.« Sie schaut mich von der Seite an, den Kopf ein bißchen schief, aber diesmal nicht, als würde sie horchen. »Dann werd ich jetzt mal den Anhänger beladen.« Sie dreht sich um und geht in den Flur. Ich warte auf das Zuschlagen der Waschküchentür, statt dessen erscheint ihr Kopf in der Küchentür. »Zwei Kissen, Helmer«, sagt sie. »Zwei Kissen.« Ada sieht witzig aus mit ihrer Hasenscharte, wenn sie einen vielsagend anschaut. Jetzt geht sie wirklich. Ich drehe den Brief wieder und wieder um. Es steht kein Name auf der Rückseite.

    Hallo Helmer,
nicht erschrecken, ich weiß, daß Du zuerst nach dem Absender geschaut hast, das mache ich auch immer, wenn ich einen Brief bekomme, aber es gibt keinen Grund, vor meinem Namen zu erschrecken.

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