Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Schildern Richtung Noordbeemster. »Über die Dörfer?« frage ich.
»Über die Dörfer.«
Ich biege rechts ab, und wir fahren über den Middenweg durch Noordbeemster und Middenbeemster. »Hier müßte man wohnen«, meint Ada. »Sieh mal, wieviel Platz hier ist. Und es liegt so schön hoch. Bei uns ist es immer naß. Alles eng und naß.«
»Ist Jarno Koper jetzt schon in Dänemark?« frage ich.
»Nein, er geht im Januar weg.« Sie schaut sich mit sehnsüchtigen Blicken um. »Wim hätte so gern was Größeres. Gar nicht sehr viel mehr, aber ein bißchen. Vielleicht zehn Kühe, ein paar Hektar.«
»Dann müßt ihr auch nach Dänemark.«
»Ach Gott, nein. Kannst du dir vorstellen, daß Wim jemals weggeht?«
»Nein«, sage ich. »Das kann ich nicht.« Wim ist schon sein Leben lang unser Nachbar, aber ich kenne ihn kaum.
Kurz bevor wir Richtung Zuidoostbeemster abbiegen, bittet mich Ada, langsam zu fahren, damit sie sichin Ruhe De Eenhoorn ansehen kann. »Ja«, sagt sie, während sie nach dem restaurierten Bauernhof späht, »wir machen hier eine schöne Spazierfahrt nach Hause, und sie bleiben da ohne Mann und ohne Vater zurück.«
Kurz vor der Kreuzung halte ich an und steige aus. Die kahlen Äste der Baumreihe, die als Windschutz die Weiden gegenüber von De Eenhoorn säumt, sind feucht. Ich kann das Ende der Reihe nicht sehen, die Stämme lösen sich im leichten Nebel auf. Ein Auto nähert sich, viel zu schnell. Dann wird es wieder still. Auf der anderen Seite der Kreuzung, neben einem etwas weniger schönen Gehöft, stehen drei Pferde.
Ada hat recht, der Beemster ist wunderschön, auch im Spätherbst, aber ich denke an Dänemark. In meiner Vorstellung ist es in Dänemark sehr oft neblig.
Ada öffnet die Beifahrertür und steigt aus. »Was machst du?« fragt sie.
»Ich wollte einfach einen Moment hier stehen.«
Sie schaut mich an. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja sicher«, sage ich.
»Eine Beerdigung ist etwas ganz Merkwürdiges.«
»Tja.«
»Vor allem, wenn jemand beerdigt wird, den man nicht so gut kannte.«
»Ja.«
»Hinterher fühlt man sich irgendwie lebendiger als vorher.«
»Wo wohnt dieser Galtjo eigentlich?«
»Keine Ahnung. Ich wußte auch nicht, daß Arie in Venhuizen wohnte, so weit weg. Was weiß man überhaupt von diesen Menschen.«
»Das ist wohl wahr«, sage ich.
»Sollen wir heimfahren?«
»Ja, laß uns fahren.« Ich bleibe auf dem Middenweg,bis wir an den Noord-Hollands Kanaal kommen. Dem folge ich über Purmerend, Ilpendam und Watergang bis Het Schouw, dann geht es durch Broek nach Hause.
Als ich in die Milchkammer komme, höre ich das Telefon. Schnell gehe ich durch die Waschküche in den Flur und nehme ab. Ich höre nichts. »Hallo?« sage ich. Am anderen Ende der Leitung bleibt es still. Es ist die Art Stille, der man anhört, daß jemand den Atem anhält. »Wer ist da?« frage ich. Ich bekomme keine Antwort und lege auf. In der Küche liegt die Zeitung ungelesen auf dem Tisch. Ich kann mich nicht hinsetzen, ich muß etwas tun. Jetzt ist hinterher, ich bin lebendiger als vorher.
Ich habe eine schöne kleine Handsäge, die hervorragend fürs Kappen der Weiden geeignet ist. Sie ist schon sehr lange sehr scharf, dürfte also nicht ganz billig gewesen sein. An der Südseite und an der Rückseite des Hofs stehen Korbweiden, die ich alle zwei oder drei Jahre zurückschneide. In diesem Jahr bin ich noch nicht dazu gekommen, und heute ist ein idealer Schnittag. Morgen hoffentlich auch, denn an einem Tag ist es nicht zu schaffen. Als ich die erste Weide zur Hälfte fertig habe, wird mir warm, und als ich mit der zweiten anfange, schwitze ich. Ich brauche keine Leiter, eine Kartoffelkiste reicht. Als es fast schon Zeit fürs Melken wird, bin ich mit den sechs Weiden an der Südseite fertig und weiß nicht mehr, woran ich die ganze Zeit gedacht habe. Ich werfe ein paar Zweige in den Futtertrog der Esel, dann rufe ich Ada an. Was der schönste Garten von Waterland werden soll, bekommt nämlich auch eine Wallhecke. Ada kann meine Weidenzweige haben, sie muß sie nur selbst abholen.
12
Vater steht am Fenster. Das stimmt nicht. Er stützt sich mit den Armen auf die schmale Fensterbank, und seine Stirn drückt gegen das Glas. Fahles Licht scheint ins Zimmer, das Wetter ist wie gestern, neblig, mit einer Sonne, die vergeblich durchzukommen versucht.
»Wie bist du da hingekommen?« frage ich.
Er sagt etwas, aber ich kann ihn nicht verstehen.
»Was?«
Es stemmt sich ein wenig
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