Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
Vom Netzwerk:
gestanden und die Pflanzen gegossen. Die Sonne ist gerade erst über den höchsten Punkt hinaus, trotzdem sind unsere Schatten viermal so lang wie wir selbst. »Du solltest im Spätsommer noch mal wiederkommen«, sage ich. »Hier findet schon seit Jahren eine Art Wettbewerb statt.«
    »Was für ein Wettbewerb?«
    »Wer die meisten Hortensien im Vorgarten hat. Möglichst in vielen verschiedenen Farben. Überall Hortensien, eine Hecke aus Hortensien, einen halbenKilometer lang. Wenn man keine Hortensien hat, gehört man nicht dazu.«
    »Ich mag keine Hortensien.«
    In einiger Entfernung, am westlichen Dorfrand, sieht man die weiße Kirche. Ich habe keine Lust mehr zu reden. Das letzte Stück Weg legen wir schweigend zurück. Als wir da sind, läßt Riet die Kirche rechts liegen und geht zwischen den Pappeln hindurch ans Ufer der Aa.
    »Hier sind wir Schlittschuh gelaufen, im Winter 1966«, sagt sie.
    »1967«, berichtige ich. »Januar 1967.«
    »Ja gut, in dem Winter eben, der Winter geht immer von einem ins andere Jahr über.«
    Da hat sie recht. Der Winter ist eine Jahreszeit, die sich nicht um unser Jahr mit seinen zwölf Monaten kümmert, weniger eine Jahreszeit als eine Jahrezeit. Diesmal gibt es hier kein Eis, abgesehen von einem dünnen Häutchen im Schilf. Zwei Enten, beides Erpel, rudern im Eiltempo auf uns zu. Wie Pinguine springen sie ans Ufer. Riet starrt die Enten unbeteiligt an. Dann dreht sie sich um, überquert die Straße und zieht an dem niedrigen Gittertor. Zieht und zieht, bis ich neben ihr stehe, den Riegel an der Rückseite öffne, mich nach vorn beuge und das Tor vor ihr aufschwinge. Wortlos betritt sie den Friedhof.
    Als wir am Grab stehen, sage ich: »Jetzt bist du Vater vermutlich dankbar.«
    »Wieso denn das?«
    »Er ist derjenige, der alle zehn Jahre das Grabrecht hat verlängern lassen.«
    »Hm«, macht sie.
    Fast erwarte ich, daß sie ihre Finger über die Buchstaben gleiten läßt, sie scheint mir der Typ dafür zu sein.Sie tut es nicht. Statt dessen setzt sie sich auf eine grüngestrichene Bank auf dem Muschelpfad neben der Kirche. Ich gehe die paar Schritte bis zur Kirche und lehne mich mit dem Rücken an die kalte Mauer. Ich stecke die Hände in die Taschen.
    »Ich war nicht wütend auf deinen Vater«, sagt sie. »Ich fühlte mich gedemütigt. Später ja. Später wurde ich wütend und blieb wütend.«
    Wir sind im Schatten der Kirche. Erst jetzt spüre ich, daß die Sonne gewärmt hat.
    »Er war lieb, Helmer.«
    »Ich weiß«, sage ich.
    »Und hübsch. Ein hübscher Junge war er.«
    Wenn ich ihr zustimme, bin ich unbescheiden.
    Riet sieht mich an, sie sieht Henk. »Du bist ein hübscher Mann«, sagt sie.
    »Ach.«
    »Es ist so. Glaub mir.«
    »Na gut«, sage ich.
    Mutter wurde bei Henk beerdigt. Ich war gespannt, was ich zu sehen bekommen würde. Ich sah nichts. Doch, eine weiße Platte, Hartfaser vermutlich, auf dem Boden der Grube, der nicht der Boden war. Während der Beerdigung goß es wie aus Eimern, ein sommerlicher Schauer; auf dem Sarg spritzte das Wasser zwanzig Zentimeter hoch, der Blumenschmuck sank in sich zusammen.
    Auf diesem Friedhof werden bis zu drei Tote übereinander begraben, es ist also noch Platz für eine Person. Ich frage mich, wen Riet für einen hübschen Mann hält, mich oder den Jungen, den sie in mir sieht. Außerdem frage ich mich, ob ihr an dem Grabstein nichts auffällt.
    »Wovon habt ihr gesprochen, als es passierte?«
    »Als Henk sah, daß uns ein Wagen entgegenkam,sagte er: ›Fahr langsamer.‹ Ich bin auch langsamer gefahren, aber nicht viel. Mein Fahrlehrer hat gern den harten Mann gespielt, er hat mir immer gesagt, Entgegenkommende muß man zwingen, an den Rand zu fahren. ›Man muß es erzwingen, durch sein Verhalten und durch Blicke.‹« Sie rutscht auf der Bank hin und her. »Aber sie war besser im Erzwingen.«
    »Was war das Letzte, das er gesagt hat?«
    »Oh oh oh.«
    »Oh oh oh?«
    »Ja. So von wegen: Dumme Gans, da sieht man, daß du noch nicht lange den Führerschein hast.«
    Ich kann hören, wie er es sagt, es paßt genau ins Henk-und-Helmer-Schema.
    »Dieser Fahrlehrer wollte bei mir auch gewisse Dinge erzwingen, durch die Art, wie er mich ansah. Er trug ein Toupet. Ich bin natürlich nie drauf eingegangen.«
    »Natürlich nicht«, sage ich.
    »Machst du dich über mich lustig?«
    »Nein, nein.«
    »Für den Simca hat dein Vater doch wohl Geld von der Versicherung bekommen?«
    »Ja.«
    »Ein Glück.«
    Ich lehne mich an eine kalte

Weitere Kostenlose Bücher