Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
bemerkt. Sie steuert darauf zu. »Das stand aber damals noch nicht hier, oder?«
»Nein«, sage ich. »Die Esel sind neu.«
»Esel!«
Sie haben uns gehört und stehen mit neugierig erhobenen Köpfen am Eingang ihrer Box. Als sie uns sehen, schüttelt der eine den Kopf. Das Licht hat die ganze Nacht gebrannt.
»Möchtest du sie füttern?« frage ich.
»Ja, gerne.«
Ich nehme ein paar große Wintermöhren aus der Kiste auf einem der Heuballen und gebe sie Riet, die zwei auf einmal zwischen den Brettern durchreicht. Mit trockenem Knacken verschwinden sie in den Eselmäulern. Ich kitzle die beiden an den Ohren. Einen Augenblick sind alle glücklich. Ihre Feststellung eben in der Küche, daß uns beiden komisch ist, macht alles schon irgendwie leichter.
Vom Eselstall geht Riet zum Hühnerhaus. Dabei zeigt sie mit wedelnder Hand, ein bißchen ungeduldig, auf die Kopfweiden, womit sie vielleicht sagen will: Ich sehe, daß die vor kurzem gekappt worden sind; das hätte Henk auch gemacht, wenn alles anders gelaufen wäre. »Früher waren hier braune Hühner«, sagt sie, als sie durch das Drahtgeflecht späht.
»Ja, Barnevelder.«
»Und diese?«
»Dies sind Lakenvelder.«
»Schön sind die. Legen sie gut?«
»Ganz ordentlich, weniger gut als die Barnevelder.«
Auf das Hühnerhaus folgt unweigerlich der Zaun. Sie lehnt sich mit den Unterarmen aufs Gatter und starrt über die Weiden. Wegen der dünnen Schneeschicht auf dem Gras ist es unglaublich hell. Von den Gräben steigt etwas Dampf auf. »Die Mühle«, sagt sie leise.
Danach steht mir nun gar nicht der Sinn. Ich drehe mich um und mache mich auf den Weg zur Milchkammer. Nach kurzem Zögern kommt sie mir nach, ich höre ihre unregelmäßigen Schritte auf dem frostharten Boden. Diesmal mache ich eine Armbewegung, nach links Richtung Eselkoppel. »Da sind sie bei gutem Wetter«, sage ich. Wir kommen durch die Milchkammer in die Waschküche. Ich gehe direkt weiter zur Flurtür, Riet bleibt vor der Tür zur Treppe stehen.
»Kommst du?« frage ich.
Sie schweigt.
»Ich habe mir überlegt«, füge ich schnell hinzu, »wenn wir zeitig essen, können wir anschließend zum Friedhof gehen.«
Sie schweigt.
Ich gebe nicht auf. »Dann kann ich dich rechtzeitig wieder zur Fähre bringen, vor dem Melken.«
Sie schweigt.
»Was ist denn?« frage ich.
»Ich möchte nach oben.«
»In Henks Zimmer?«
»Ja.«
Ich steige vor ihr die Treppe hinauf. Dann öffne ich die Tür von Henks Zimmer. Riet schlüpft neugierig hinein. Ich bleibe in der Tür stehen, das Zimmer ist so voll, daß man sich nicht zu zweit darin aufhalten kann. Sie schaut sich um; nach einer Weile setzt sie sich aufs Bett.
Dann sehe ich sie nicht mehr, sie ist ganz unter Henk verschwunden, und statt Januarsonnenlicht füllt Augustmondschein das Zimmer. Henks weiße Unterhose ist bis zu den Knien heruntergeschoben, und sein Unterleib wippt auf und ab, eine Bewegung, die kaum zu seinem Alter paßt. Ich kann ihn fast riechen. Er atmet so flach wie möglich, das Grübchen oberhalb seiner Gesäßspalte ist feucht, tiefer und tiefer drückt er Riet in die alte Matratze, seine Achillessehnen sind an dem Auf und Ab beteiligt, als wäre das eine Welle, die von seinen Zehen ausgeht.
»… sein Bett?«
»Wie?«
»Ist dies das Bett, in dem Henk geschlafen hat?«
Ich blinzle ein paarmal, es dauert einen Moment, bis die warme Augustnacht wieder ein Januarvormittag ist. »Ja.«
»Ich wußte es nicht mehr. Es steht so viel Zeug hier.« Sie legt die Hände neben sich auf die Decke, als hätte sie nicht vor, sich jemals wieder zu erheben, und schaut aus dem Fenster. »Die Nebelkrähe sitzt immer noch da.«
»Komm«, sage ich.
Sie steht auf und verläßt das Zimmer.
»Mein altes Zimmer«, sage ich beiläufig und ziemlich laut, als wir an der zweiten Tür vorbeikommen. Ich sehe den Schlüssel stecken und überlege, ob die Tür abgeschlossen ist. »Ist auch voll Gerümpel.« Ich gehe schnell weiter ins neue Zimmerchen, dessen Tür weit offensteht. Riet folgt mir.
Sie lehnt mit dem Rücken an einer Wand, die Knie leicht gebeugt, so daß ihr Pullover an den Schultern hochgerutscht ist. »Sein Gesicht«, sagt sie. »Sein Gesicht in dem kalten Wasser. Seine Haare schwammen wie Algen hin und her.«
22
»Hier ist alles unverändert«, sagt sie.
»Es darf nicht gebaut werden.«
»Warum nicht?«
»Denkmalschutz.«
Wir gehen durchs Dorf zum Friedhof. Vor zehn Minuten hat Ada ganz zufällig an ihrem Küchenfenster
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