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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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er vier oder fünf.«
    »Und der Esel?«
    »Gleich verkauft. ›Mach einen großen Topf Leim aus ihm‹, hat Wien zum Viehhändler gesagt.« Riet schweigt einen Augenblick. »Was macht er jetzt?«
    »Ich weiß nicht, er ist gerade hinten.« Ich schweige auch einen Augenblick. »Er möchte Geld.«
    »Wofür?«
    »Für die Arbeit, die er macht.«
    »Weißt du, daß ich daran überhaupt nicht gedacht habe?«
    »Ich auch nicht.«
    »Aber gib ihm nichts.«
    »Warum nicht? Er arbeitet doch.«
    »Ja, aber er schläft und ißt bei dir. Du schwimmst doch auch nicht im Geld.«
    »Ach Riet, ich hab mein Leben lang kaum einen Cent ausgegeben. Und mein Vater auch nicht.«
    »Du mußt ihn aber auch kochen lassen.«
    »Ja?«
    »Er kann ganz gut kochen. Wie findest du ihn überhaupt?«
    »Scheint mir eigentlich ein netter Kerl zu sein. Fehlt bloß die Gebrauchsanweisung.«
    »Ja, die Gebrauchsanweisung. Ist er… aggressiv?«
    »Aggressiv? Nein, gar nicht. Wieso fragst du?«
    »Nur so. Wenn er sich ein bißchen eingewöhnt hat, soll ich dann auch kommen? Dann könnte ich eine Zeitlang die Frauenarbeit machen. Kochen, waschen . . .«
    Höchste Zeit, dieses Telefonat zu beenden. Ich versuche das »Nein, wir kommen sehr gut zurecht« so abschließend wie möglich klingen zu lassen. Schon eine ganze Weile starre ich unruhig auf die Tapete.
    »Ich ruf dich wahrscheinlich nächste Woche wieder an.«
    »Gut.«
    »Tschüs Helmer.«
    »Tschüs Riet.« Ich lege auf.

    Ich war einmal in Heiloo, bei der Marienkapelle. Mutter wollte sie sich gern ansehen, obwohl sie gar nichtkatholisch war. Vor etwa zwanzig Jahren, an einem normalen Wochentag im Mai, habe ich sie hingefahren. »Durch Maria Zu Jesus« stand in großen Buchstaben auf dem Giebel (in Mosaik, glaube ich). Warum fällt mir das jetzt ein? Riet bringt mich durcheinander. Ich höre auf, die Tapete anzustarren, und gehe in die Küche. Draußen ist Februar. Hagel, nasser Schnee und hin und wieder etwas Sonne.
32
    Nachdem Henk mich ermahnt hatte, leise zu sein, und in seiner großen weißen Unterhose wie auf Eiern aus dem Zimmer gegangen war, hatte ich mich aufs Kopfende meines Betts gekniet. Dann hatte ich mich mit gekreuzten Unterarmen auf die Fensterbank gestützt, das Kinn auf die Arme gelegt und nach draußen gestarrt. Es roch nach warmem Wasser in den Gräben und nach sonnendurchwärmten alten Dachziegeln. Der Mond schien so hell, daß ich auf dem Stück Land jenseits des Kanals einen Hasen laufen sehen konnte. Der Hase war allein, er schien irgend etwas zu suchen, er lief hin und her und lauschte immer wieder, aufgerichtet und mit hängenden Vorderpfoten. Hinter dem Hasen war das Land bis zum Deich vollkommen leer. Keine Kühe, keine Schafe. Jetzt sind die Böckchen getrennt, dachte ich.
    Das Fenster von Henks Zimmer stand auch offen. Sie flüsterten, aber so leise, daß ich kein Wort verstehen konnte. Ich sah mich unter ihrem Fenster kauern, die nackten Füße in der Dachrinne, die Hände um die Rahmen der geöffneten Fensterflügel geklammert, den Kopf so nah wie möglich am Fensterbrett. Mich einfachwieder hinzulegen und das Laken über mich zu ziehen war unmöglich. Ich stieg aus dem Bett, ging zur Tür, zog sie vorsichtig auf und schlüpfte auf den Flur. Ich wartete einen Moment, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann machte ich die paar Schritte bis zu Henks Tür und kniete mich hin. Es sind alte gestemmte Rahmentüren, mit übertrieben großen Schlüssellöchern. Erst sah ich nur Bewegung, langsam bekam sie Formen. Von Riet waren nur die Unterschenkel zu sehen. Henk füllte das Schlüsselloch fast aus. Nur das eine meiner Knie lag auf dem Boden, das andere hatte ich an den Oberkörper gezogen. Ich ließ eine Hand in meine Unterhose gleiten. Große, weiße Unterhosen mit kräftigem Gummiband trugen wir damals. Immer frisch; es konnte ja sein – sagte Mutter –, daß man plötzlich ins Krankenhaus mußte. Ich hatte so angestrengt gespäht, daß mich das warme Pulsieren meines Geschlechts an meinem Bauch überraschte. Ich begann Henks Bewegungen zu folgen, mit den Augen und der Hand. Bis ich einen Krampf in dem angezogenen Bein bekam. Ich mußte aufstehen. Während ich das tat, schaute ich zu dem kleinen Dachfenster am Ende des Flurs. Ich sah die Pappeln im Mondlicht, und ich sah mich selbst, wie ich mich aufrichtete, vor einer geschlossenen Tür, die Hand noch immer in der Unterhose. Als ich die Zehen hochzog, löste sich der Krampf in meiner

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