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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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herum. Die Schubkarre liegt neben dem Laufbrett, sie ist auf die Seite gekippt, und ihr Inhalt herausgerutscht. Er schaufelt den Mist mit einer Gabel vom Boden und schmeißt die Gabelladungen mit ausholenden Armbewegungen auf den Haufen. Als er damit fertig ist, kratzt er sich am Kopf, richtet die Schubkarre auf und fährt sie in den Jungviehstall zurück. Er hat mich nicht gesehen. Was um alles in der Welt hat der Junge hier verloren? frage ich mich. Ich schiebe die Hände in meine warmen Taschen und schaue in den Himmel. Es ist bewölkt und sieht nach Regen aus, aber die Tage werden schon spürbar länger.
    Später gehe ich noch einmal zur Stalltür. Henk hat sich an die Wand des Jungviehstalls gelehnt, an der Ecke neben dem Schafstall; ein Knie hat er hochgezogen und den Fuß mit der Schuhsohle an die Mauer gedrückt. Er raucht und starrt über den Misthaufen zum Eselstall hinüber. So erinnert er an den harten Mann in einer altmodischen Tabakreklame.

    Bevor wir essen, rolle ich vor dem Sofa den Teppich aus. Er ist ockergelb mit hellblauen Figuren am Rand. Kreisen, Quadraten und Kreuzen. Henk entrollt sein Poster. Ein Mädchen mit langen blonden Haaren und Schmollmund. Sie hat sehr wenig an.
    »Wer ist das?« frage ich.
    Henk lächelt. »Britney Spears«, sagt er.
    »Wer?«
    »Eine Sängerin.«
    »Also das ist nach Teuns Ansicht das Richtige für dein Zimmer.«
    »Scheint so.«
    »Hübsches Mädchen.«
    »Mwa. Kindisch.«
    »Hängst du es auf?«
    »Ich nehm’s mit rauf. Wie alt ist Teun?«
    »Neun? Zehn?«
    »Auf jeden Fall ist er kein Fan von Britney Spears.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil er das Poster dann bestimmt selbst aufhängen würde.«
    Wir gehen in die Küche. Während ich noch überlege, ob ich den Vorhang vor dem Seitenfenster zuziehen soll oder nicht, schreitet Henk schon zur Tat.
    »Warum machst du das?« frage ich.
    »Das Fenster ist wie ein Spiegel, wenn es dunkel ist.«
    »Ja und?«
    »Ich hab keine Lust, beim Essen die ganze Zeit mich selbst zu sehen.«
    »In einem Monat ist es hell, wenn wir essen.«
    »In einem Monat?«
    »Ja.«
    »Das ist noch ganz schön lange.«

    Wir sehen fern. Ich sitze auf dem Sofa. Henk hat sich auf dem Teppich ausgestreckt; er liegt auf der Seite und stützt sich auf einen Ellbogen. Er hat die Fernbedienung in der Hand und wechselt in rasendem Tempo die Sender. Ich will immer »halt« rufen; woher soll man wissen, was man sieht, wenn es gerade mal zwei Sekunden im Bild ist? Ich gebe auf und beobachte ihn, während erauf den Bildschirm starrt. Nach einiger Zeit beginnt ihn die Sache zu langweilen. Bevor er aufsteht, seufzt er ein paarmal tief. Dann reicht er mir wortlos die Fernbedienung und geht aus dem Zimmer. Ich schalte den Fernseher aus und stelle mich vor den leise summenden Ofen. Mutter schaut mich aus ihrem Foto mit diesem seltsam gemischten Blick an, verführerisch und hochmütig zugleich. Jetzt sehe ich zum ersten Mal auch etwas Wachsames darin. Vom Kaminsims aus behält sie alles im Auge. Ich habe schon mehrmals gesehen, daß Henk das Foto anschaute, aber er hat mich nie gefragt, wer das ist.

    Ich fülle gerade die Waschmaschine, als Henk aus dem Badezimmer kommt. Er hat sich ein Handtuch um die Taille geschlungen, seine Schultern sind noch naß. »Ich hab bald keine Zigaretten mehr«, sagt er.
    »Dann mußt du nach Monnickendam«, antworte ich.
    »Ist das weit?«
    »Etwa vier Kilometer. Wir könnten morgen zusammen hinfahren, mit dem Auto.«
    »Vielleicht fahr ich doch mit dem Rad«, sagt er. Er geht zur Tür vor der Treppe und hinterläßt nasse Fußspuren auf dem kalten Boden.
    »Muß das Handtuch nicht in die Wäsche?«
    Er dreht sich um. »Jetzt?«
    »Ja, wieso nicht?«
    Er löst das Handtuch und bückt sich, um sich die Füße abzutrocknen. Dann richtet er sich wieder auf und wirft mir das Handtuch zu. Ich fange es auf, der feuchte, warme Stoff legt sich um meinen Unterarm. Einen Augenblick bleibt er noch stehen, stolz und verlegen zugleich. Die Narbe über seinem linken Ohr istdeutlicher zu sehen als sonst, vielleicht liegt das am warmen Wasser. Dann öffnet er die Tür und verschwindet nach oben. Die ersten Schritte auf der Treppe erinnern mich an den jungen Milchfahrer, wenn er elastisch ins Fahrerhaus springt.
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    Henk und Helmer. In der Grundschule, hier im Dorf, waren wir mit Zwillingsschwestern in einer Klasse. Henk und ich saßen am Fenster, neben einer großen Fettpflanze mit einer Staubschicht auf den zähen Blättern. Die beiden Mädchen

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