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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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in einem Aschenbecher schwelte eine selbstgedrehte Zigarette, daneben lagen ein fast leeres Tabakpäckchen – Van Nelle, las ich, Halfzware Shag – und Mascotte-Zigarettenpapier. Aus einem großen Radio kam leise Musik. Er ging zum Sofa und zeigte auf einen Sessel. Ich setzte mich und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
    »Warm«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich.
    Ein Sommerabendradler kam vorbei, kurz darauf noch einer.
    »Möchtest du was trinken?«
    »Ja, gern.«
    »Bier? Ich trinke ein Bierchen.«
    »Gut.«
    Er stand auf und holte zwei Flaschen Bier aus einem Schrank in der Küche. Einen Kühlschrank gab es nicht. Er reichte mir die Flasche, die kälter war, als ich erwartet hatte, und setzte sich wieder hin. Er rutschte etwas nach vorn, lehnte sich zurück und legte einen Arm auf die Rückenlehne, die andere Hand mit der Bierflasche lag in seinem Schoß. Eine saubere Hand, seit Wochen nicht mehr mit Mist, fettiger Kuhhaut, Dieselöl oder Erde in Berührung gekommen. Die Zigarette schwelte weiter vor sich hin.
    »Wo geht ihr schwimmen?« fragte er.
    »Bei Uitdam«, antwortete ich.
    »Ich schwimme beim Nothafen.«
    »Beim Nothafen?«
    »Wo der Damm nach Marken anfängt.«
    »Ach da.« Ich trank einen Schluck Bier und wischte mir noch einmal die Stirn ab. Schwimmen hatte er mir nicht beigebracht. Ich starrte den Bücherstapel an und tat so, als ob ich die Titel auf den Rücken lesen würde, während ich mir vorzustellen versuchte, wie er dabei wohl vorgegangen wäre, beim Schwimmunterricht.
    Er setzte sich etwas aufrechter hin, nahm den Arm von der Rückenlehne und legte ihn nun auch in den Schoß, die Finger beider Hände umschlossen locker die Bierflasche. »Was ist los?« fragte er. Er bewegtebeim Sprechen vor allem die Oberlippe und entblößte so die ungleichen Schneidezähne.
    Ich sagte nichts, sondern starrte weiter die Bücher an.
    »Ist es dein Bruder?«
    Ich nickte und schluckte.
    »Mit dem Mädel?«
    »Ja«, sagte ich.
    Es war noch früh, aber die Sonne stand schon ziemlich tief, der Sommer näherte sich seinem Ende. Das meiste Licht fiel durch die geöffnete Küchentür herein. Von einem Graben hinter dem Knechtshaus stieg schon etwas Dampf auf, über den Weiden bildete sich eine dünne Nebelschicht. Die Zigarette war jetzt ganz verglüht, der Rauch hing noch als waagerechter Schwaden in dem kleinen Wohnzimmer. Ich schaute den Knecht an, sein kurzes Haar berührte den Rauch. Ich sah, was ich erwartet hatte: Er erwiderte meinen Blick, wie er es damals – vor zehn oder mehr Jahren – getan hatte, als ich merkte, wie es in ihm gärte, als er sich innerlich gegen Vater auflehnte und in mir einen Mitstreiter suchte. Er stand auf, der Rauch wirbelte ihm um den Kopf.
    »Komm«, sagte er. Freundlich, wie er in all den Jahren mit uns gesprochen hatte.
    Wir stellten gleichzeitig unsere Flaschen auf das Tischchen.

    Er hatte damals kein Auto, vielleicht war ihm das zu teuer. Wir fuhren auf seinem Rad zum Nothafen, nicht zum Deich bei Uitdam. Ich saß auf dem Gepäckträger und hielt mich an ihm fest, wenn er einen Schlenker machte. Die Enden des Handtuchs, das er sich um den Hals gelegt hatte, wehten unter seinen Achseln hindurch gegen meine Brust.
    »Ich hab sie gesehen«, sagte ich zu seinem Rücken.
    »Deinen Bruder und das Mädel?«
    »Ja.«
    Er bog auf den Deich ein und trat unbeirrt weiter in die Pedale. »Es ist besser so, glaube ich«, sagte er.
    »Wie meinst du das?«
    »Du bist nicht dein Bruder.«
    »Nein. Natürlich nicht.«
    Im Nothafen lagen ein paar kleine Boote. Er legte sein Rad ins Gras und ging auf die Mole. Dort war niemand. Er zog sich aus und stieg vorsichtig über die Basaltblökke ins Wasser hinunter. Er sah aus wie ein Radrennfahrer, seine Arme und Beine waren braun, Schultern, Rükken und Hintern vollkommen weiß. Ich kannte nur Henks nackten Körper. Dieser war ein viel größerer Körper, ein fremder Körper, keiner, an den man sich einfach anschmiegen konnte. Als ihm das Wasser gerade bis über die Knie reichte, ließ er sich nach vorne fallen. »Komm«, rief er. Jetzt zog ich mich auch aus. Mir war nicht ganz klar, was er mit »Du bist nicht dein Bruder« gemeint hatte. Ungeschickt stelzte ich über die Basaltblöcke ins Wasser; er schaute mir zu. Dann schwammen wir, immer wieder im Halbkreis um den Molenkopf. Ein Mann auf einem Boot grüßte uns mit erhobener Hand. Ich hatte mich vorher noch nie gefragt, ob Jaap sonst immer allein schwimmen ging. Oder kannte er andere Knechte

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