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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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hier in der Gegend, mit denen er manchmal etwas unternahm? Ich war ein bißchen befangen; zum ersten Mal machten wir etwas zusammen, das nichts mit der Arbeit zu tun hatte, zum ersten Mal war er jemand anders als »der Knecht«. Außerdem war mir ein bißchen schwindlig von der einen Flasche Bier. Er schwamm großartig, mit langen Zügen, bei jeder Runde hatte er innerhalb kürzester Zeit fast zwanzig Meter Vorsprung. »Du mußt deineFinger schließen«, sagte er. Ich schloß die Finger. »Du darfst die Beine nicht vergessen.« Ich schlug mit den Füßen ins Wasser. »Versuch jetzt mal, mit dem Kopf im Wasser zu bleiben und dann auf einer Seite zu atmen.« Ich versuchte es und verschluckte mich. Ich hatte gedacht, ich könnte schwimmen, er sah das anders. Beim Schwimmunterricht nahm er nicht die Hände zu Hilfe, vielleicht, weil das nicht praktisch gewesen wäre, vielleicht, weil ich nicht mehr der Knirps war, dem er Schlittschuhlaufen beigebracht hatte.
    Er trocknete sich schon ab, als ich aus dem Wasser kam und auf einem algenbewachsenen Basaltblock ausrutschte. Ich fiel nach vorne und hätte eigentlich reichlich Zeit gehabt, mich mit den Händen abzufangen. Trotzdem landete ich mit den Knien hart auf den Steinen. Jaap mußte lachen. Bis ich mich aufgerappelt hatte und durch das Gras zu ihm ging. »Du blutest«, sagte er. Ich schaute auf mein rechtes Knie hinunter, das sich warm anfühlte, und jetzt wußte ich, wieso. Er schaute zu seinem Kleiderhaufen, bückte sich und nahm seine Unterhose. Die knotete er mir ums Knie. Dann gab er mir sein Handtuch. »Trockne dich ab«, sagte er, »ich verbinde dich dann gleich zu Hause.«

    Er setzte mich in einen Sessel und ging die Treppe hinauf. Oben hörte ich ihn eine Zeitlang kramen. Schließlich kam er mit einem riesigen Verbandkasten an, einem mit gewölbtem Deckel und Handgriff. Er kniete sich neben meinen Sessel und löste sehr vorsichtig die Unterhose von der Wunde, bevor er ein Fläschchen Jod aus dem Kasten nahm. »Zu Hause«, dachte ich und biß die Zähne zusammen. Dann verband er mein Knie, indem er es mit breiten Gazestreifen umwickelte und die Gaze mit Leukoplast festklebte. Das Radio spielte noch leisevor sich hin, eine Art Jazz. »Komm«, dachte ich. Durchs geöffnete Küchenfenster war das trockene, bellende Husten eines Schafs zu hören. Er stand auf und strich mit der Hand durch mein feuchtes Haar, wie es ein älterer Dorfarzt bei einem Kind tun würde, das beruhigt werden muß. »Noch ein Bierchen?« fragte er. »Auf den Schreck?«
    »Gut«, sagte ich.
    Kurz darauf saßen wir uns wieder gegenüber, beide mit einer Flasche Bier in der Hand. Jaap hatte sich eine Zigarette gedreht und rauchte sie bedächtig auf. Diesmal hing kein Schwaden im Zimmer. Ein Auto fuhr vorbei. Es war so still, daß wir hören konnten, wie der Wagen etwas später in einem niedrigeren Gang auf den Deich einbog. Als ich mein Bier getrunken hatte, stand ich auf. »Ich geh dann mal«, sagte ich.
    Jaap stand auch auf. »Ich weiß ja nicht so genau, wie es bei Zwillingen ist«, sagte er, »aber ich könnte mir vorstellen, daß sich irgendwann doch einer vom andern trennen muß.«
    Ich war immer noch etwas befangen, aber weniger als vor einer Stunde. Das Schwimmen, sein langsames Rauchen, die Art, wie er die Flasche an den Mund setzte, genau wie ich, das Verbinden – all das hatte ihn fast schon zum ehemaligen Knecht gemacht. Ich nickte.
    »Aber dann ist es wohl besser, es passiert bei beiden auf die gleiche Art«, fügte er hinzu.
    Wieder nickte ich, und ich spürte, daß meine Unterlippe zu zittern anfing. Er kam auf mich zu und legte mir die Hand in den Nacken. »Wird schon werden«, sagte er. Dann beendete er das Zittern meiner Lippe, indem er mich auf den Mund küßte, wie man einen Großvater einmal im Leben auf den Mund küßt, wenn dieGroßmutter gestorben ist. »Wird schon alles werden«, bekräftigte er und schob mich sanft Richtung Haustür. Neben dem Sessel, in dem ich gesessen hatte, lag noch seine blutbefleckte Unterhose.

    Mutter und Henk saßen in der Küche. Die Lampe über dem Tisch brannte.
    »Was ist dir denn passiert?« fragte Mutter.
    »Gefallen«, antwortete ich.
    »Wer hat das so verbunden?« Sie wollte sich schon hinknien, um den Verband zu lösen und es besser zu machen.
    Ich trat einen Schritt zurück. »Jaap.«
    »Du warst bei Jaap?«
    »Ja.«
    »Hast du was getrunken?«
    »Ja. Bier.«
    Henk schaute mich mißbilligend an.
    Alle Türen standen offen, und ich

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