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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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große Hände du hast«, sagt Henk.
    Ich fülle ein paar Kartoffeln und Prinzeßbohnen auf den Teller und schiebe ihn zu Henk hinüber. »Bringst du das nach oben?«
    »Okay.«

    Er bleibt lange weg. Ich spüle das Geschirr, und als ich damit fertig bin, hole ich die Nagelbürste aus dem Schränkchen unter der Spüle. Irgendwo muß eine Dose Mechanikerseife sein, die Mutter noch gekauft hat, weil sie meinte, Vater und ich müßten unsere Hände besser pflegen. Nach ihrem Tod ist die Dose in dem Schränkchen immer weiter nach hinten gewandert. Nach einigem Suchen finde ich sie in einer feuchten Ecke unter einem verschlissenen Putzlappen. Ich scheuere meine Hände mit der sandigen Seife, bis die Nagelhaut fast blutet.
    In der Waschküche ziehe ich mich aus und werfe meine Sachen in den Waschkorb. Ich gehe ins Badezimmer, drehe das Wasser auf und stelle mich unter die Brause. Erst als das Wasser allmählich lau wird, der Boiler also fast leer ist, drehe ich mit schrumpeligen Fingern die Hähne zu. Ich trockne mich ab, schlinge mir das Handtuch um die Taille und gehe ins Schlafzimmer. Auf dem Weg durchs Wohnzimmer sehe ich in den Spiegel über dem Kaminsims, dann schaue ich Mutter an, die meinen Blick wachsam erwidert. Ich hatte frische Sachen anziehen wollen, aber als ich mein Bett sehe, überlege ich es mir anders.
    Ich werfe das Handtuch in eine Ecke und stelle mich vor die Dänemarkkarte. »Værløse«, sage ich leise.»Farum, Holte, Birkerød, Frederiksværk.« Mein Geschlecht schwillt, und ich krieche ins Bett. Ich höre Henk die Treppe herunterkommen. Er geht durchs Haus, scheint kurz vor der Schlafzimmertür stehenzubleiben. Dann macht er überall die Lampen aus, ich höre es an dem Weg, den er nimmt. Kurz danach geht er wieder die Treppe hinauf. Das Haus ruht.
41
    Ich bin auf die Koppel gegangen, um die Schafe zu zählen. Der Anblick eines Schafs macht mich immer ein bißchen trübsinnig. Es sind so jämmerliche Tiere. Ich denke oft an die drei Schafe, die ich verkauft habe, um das Geld dann für die Dänemarkkarte auszugeben; vor allem, weil ich nicht einmal genau hingesehen habe, welche Schafe ich da verscherbelte. Es hätten genausogut drei andere sein können. Zwanzig Schafe im Regen sind kein schöner Anblick, ungeschorene Schafe während einer Hitzewelle sind kaum anzusehen, ein hinkendes Schaf ist fast unerträglich. Am allerschlimmsten ist ein Schaf, das auf dem Rücken liegt. Das es nicht schafft, aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen, das den prall mit Luft gefüllten Darm gegen die Bauchdecke preßt, das japst und röchelt und sich, wenn gerade Wind weht, allmählich immer weiter aufbläht, wobei es den Kopf krampfhaft in die Höhe reckt, solange es geht. Ich versuche mich zu erinnern, wann genau ich den Bock weggebracht habe. Es ist fast Zeit, sie aufzustallen. Ich zähle neunzehn Schafe.

    Ich bin nicht zufällig jetzt auf der Koppel, ich zähle die Schafe, weil ich nicht im Haus sein will. Riet hatangerufen. Sie hat wieder gefragt, ob sie nicht mal vorbeikommen solle, nur um zu schauen, wie es uns geht, und vielleicht etwas »Frauenarbeit« zu übernehmen. Oben hustete Vater. Ich habe Henk gerufen und ihm den Hörer gegeben und bin dann zur Koppel gegangen.

    Ich seufze und fange noch einmal an zu zählen. Neunzehn. Ich stiefele zum nächsten Graben. Spiegelglattes Wasser, das im Sonnenlicht glänzt. Diese Glätte hat nicht viel zu bedeuten, ein Schaf, das im Wasser gelandet ist, gibt schnell auf, fängt an zu saufen und wartet ruhig ab, was kommt. Texel-Schafe bringen es fertig, sich zu ertränken. Noch ein Minuspunkt. Ich gehe am Graben entlang bis zum Quergraben. Die neunzehn Schafe halten Abstand, aber sie folgen mir. Das Schaf steht im dritten Graben. Das Wasser reicht fast überall bis zur Grasnarbe, bei diesem Graben ist das Ufer oberhalb des Wasserspiegels nicht mehr als dreißig Zentimeter hoch, das ist die Länge eines gewöhnlichen Lineals. Ich greife mit den Händen tief in die Wolle und ziehe. Sie haben dünne, zerbrechliche Beine, aber wenn die Beine im Schlamm stecken, kommen sie einem wie bleischwere Widerhaken vor. Das Schaf wackelt ein bißchen hin und her und wendet mir kurz den Kopf zu, Wasser schwappt ans flache Ufer. Ich spreize die Beine etwas weiter und versuche es noch einmal. Im nächsten Augenblick sitze ich mit dem Hintern im Gras, ein Büschel Wolle in der rechten Hand. Das Schaf wartet jetzt nicht mehr ruhig ab, was kommt. Ganz gegen seine Natur versucht es, sich

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