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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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zurückkommen sehe. Ich stehe immer noch am Zaun der Schafkoppel, und die Esel stehen an ihrem Zaun. Sie fangen an zu wiehern und die Köpfe zu schütteln, als sie Henk sehen. Er reagiert nicht darauf. Er fährt genau auf mich zu, bremst und streckt die Hand nach meinem Kopf aus. Ich mache einen Schritt zurück, so wie er – wie lange ist das schon wieder her? – nach seinem Friseurbesuch den Kopf weggezogen hatte, weil er spürte, daß meine Hand auf dem Weg zu seinen gestutzten Haaren war.
    Er bläht die Backen und pustet Luft aus, lehnt Vaters altes Rad an den Zaun und zieht sich die Jacke aus. Er hängt sie über den Zaun und holt ein neues Zigarettenpäckchen aus einer der Innentaschen. »Es ist knallheiß«, sagt er, macht das Zellophan ab, schnippt den Deckel hoch und nimmt sich eine Zigarette. Aus einer Gesäßtasche kommt das Feuerzeug zum Vorschein. Er zündet sich die Zigarette an und inhaliert tief, selbstsüchtig. So wie alles an ihm selbstsüchtig ist. »Knallheiß«, wiederholt er. »Aber noch nicht Sommer.«
    »Nein«, sage ich, »es ist noch lange nicht Sommer.«

    Als wir gegessen haben, bringt Henk einen Teller nach oben. Ich räume den Tisch ab und fange an zu spülen. Ich trockne gerade das letzte Messer ab, als er – ohne Teller – wieder herunterkommt. »Noch nicht tot«, erdreistet er sich zu sagen.
    Ich drehe mich zu ihm um, in der rechten Hand noch das blitzblanke Messer, auf einer Schulter das feuchte Geschirrtuch. »Henk«, sage ich. »Jetzt hältst du aber sofort das Maul.«
    »Na hör mal«, erwidert er.
    Ich werfe das Messer in die Besteckschublade undmache sie zu. Dann hänge ich das Geschirrtuch über die Rückenlehne eines Stuhls und gehe zur Waschküche.
    »Wo gehst du hin?« ruft er mir nach.
    Ich antworte nicht. Im Kuhstall gemächliches Wiederkäuen. Auch im Schafstall ist es ruhig. Bei einem Schaf hat es schon um die Mittagszeit angefangen, und es will nicht vorangehen. Ich ziehe den Ärmel hoch, mache meine Hand so schmal wie möglich und taste in einem lauwarmen Knäuel aus Beinen, Leibern und Köpfen herum. Es sind drei, das ist das erste Schaf mit Drillingen. Nummer achtzehn. Ein paar Minuten später habe ich sie geholt. Eins ist tot. Es ist immer jammerschade, wenn ein Lamm tot zur Welt kommt, aber von Drillingslämmern wird normalerweise mindestens eins ein Flaschenlamm. Bis jetzt – zwei Schafe sind noch nicht so weit – gibt es noch gar keine Flaschenlämmer. Ronald hat sich schon beklagt, er hantiert gern mit Flaschen und Saugern. Sein Vater hält keine Schafe. Ich hebe die beiden Lebenden in die Gewöhnungsbox und ziehe dann die Hürde ein Stück zu mir hin, damit ich die Mutter auf die andere Seite treiben kann. Das tote Lamm lege ich neben dem Schafstall zu einem toten Lamm von gestern. Morgen früh muß ich bei der Tierkörperbeseitigung anrufen. Neunundzwanzig auf achtzehn. Könnte besser sein.

    Als ich wieder im Haus bin, gehe ich direkt ins Badezimmer. Ich drehe die Hähne erst zu, als der Boiler leer ist; ich trockne mich ab und schlinge mir das Handtuch um die Taille. Es ist still im Haus. Henk sitzt nicht vor dem Fernseher. Er sitzt am Küchentisch, mit dem Rükken zum Seitenfenster. Der Vorhang ist zu. Er raucht. Auf dem Tisch ist nichts außer dem vollen Aschenbecher. Ich gehe ins Wohnzimmer.
    »Wo willst du hin?« fragt er.
    »Ich geh ins Bett.«
    »Na schön«, ruft er beleidigt, »dann geh ich eben auch ins Bett.«
    »In dein eigenes Bett«, sage ich.
    »Oben?«
    »Ja, oben, da steht dein Bett.«
    »Aber. . .«
    »Was aber?« Ich bin bei der Schlafzimmertür angekommen.
    »Nichts. Gar nichts.«

    Ich schließe die Tür und stelle mich vor die Dänemarkkarte. »Helsingør«, sage ich. »Stenstrup, Esrum, Blistrup, Tisvildeleje.« Fünf langsam ausgesprochene Namen reichen heute abend nicht. Ich füge noch ein paar Inseln hinzu. »Samsø, Aerø, Anholt, Møn.« Das große Bett steht für mich bereit. Als ich die Steppdecke zurückschlage, rieche ich Henk. Ich lege mich hin und ziehe an der Schnur über meinem Kopf. Es wird dunkel. Ich höre ihn ins Wohnzimmer kommen, ich höre ihn zur Schlafzimmertür gehen. Er atmet vor der geschlossenen Tür, ich atme hier im Bett. Dann entfernt er sich von der Tür. Ein paar Sekunden später geht der Fernseher an. Zigarettenrauch dringt durch die Spalten ins Schlafzimmer. Eine Chipstüte wird rabiat aufgerissen. Nach einer Stunde geht der Fernseher aus. Er stampft die Treppe hinauf und schlägt die Tür des neuen

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