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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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Bildrand Texte. Ist das heutzutage so? Ein Krieg live im Fernsehen, und Jungs wie er lümmeln auf dem Sofa und schauen zu? »Glaubst du, die Schafe kümmert das?«
    »Jetzt setz dich doch einen Moment hier hin.«
    Ich schaue ihn so lange an, bis er den Blick hebt. »Geh zu den Schafen«, sage ich. Ich drehe mich um, gehe in die Küche und setze mich an den
     Schreibtisch. Ich schlage Seite 531 auf, nehme einen Schreibblock und einen Kuli und fange an, das Gedicht abzuschreiben. Als ich damit fertig bin und das Blatt abgerissen habe, frage ich mich, was ich da eigentlich mache. Ich stehe auf, das Blatt in der Hand, und weiß nicht, wohin. Ich schaue aus dem Vorderfenster, aus dem Seitenfenster, ich schaue nach dem Geschirr neben der Spüle, nach der Zeitung auf dem Tisch, ich höre die elektrische Uhr summen. Weil ich die Uhr summen höre, höre ich auch, daß der Fernseher aus ist. Hier stehe ich mit einem sauber abgeschriebenen Gedicht in der Hand und habe keine Ahnung, was ich damit soll. Ich gehe schnell durch den Flur zur Spülküche. Dann haste ich die Treppe hinauf, immer zwei, drei Stufen auf einmal. Oben verschnaufe ich kurz. Vorsichtig öffne ich Vaters Tür. Er schläft. Sein kleiner Kopf liegt still auf dem Kissen, die Ohren und die Nase wirken sehr groß, der Unterkiefer hängt etwas herunter. Er kommt mir irgendwie ausgetrocknet vor. Wieder weiß ich nicht, was ich im nächsten Augenblick tun werde. Mein Blick schweift durchs Zimmer, ich gehe zum Bett. Ich lege ihm das sauber abgeschriebene Gedicht auf die Brust. Ruhig hebt und senkt sich das Blatt.
    Draußen schwirrt etwas. Schwirrt, landet und faltet ruckend die Flügel zusammen, ein Bauer im schwarzen Sonntagsstaat, der sich vergeblich die großen Hände sauberzuwischen versucht. Sie ist zurückgekehrt. Ich schnalze leise mit der Zunge. Ich habe das Gefühl, sie wäre besser weggeblieben.
47
    »Bin ich jetzt eine Art Henk?« Henk hat ein paar Nächte in seinem eigenen Zimmer geschlafen, aber diese Nacht war es da offenbar kälter als in den vergangenen Nächten, und so ist er zum zweiten Mal neben mir ins Bett gekrochen. Er hat schon geschlafen, ist aber wieder aufgewacht und hat gefragt, ob er »eine Art Henk« sei. Ich habe nicht geschlafen. Ich habe auf der Seite gelegen und nach dem Licht geschaut, das durch die Lamellenjalousie ins Schlafzimmer fällt. Ich habe gehorcht. Eben ist ein Radfahrer vorbeigekommen, ein paar Enten sind im Kanal gelandet, die Bläßhühner haben leise gekläfft. Vater hat etwas gesagt, im Schlaf vielleicht, vielleicht starrt er wie ich im Dunkeln zum Fenster, auf die Vorhänge, hinter denen die Nebelkrähe auf ihrem vertrauten Ast schlummert. Ich konnte mich ohnehin schon nicht richtig entspannen, jetzt spüre ich, wie die Unruhe in mir noch größer wird. Ich weiß, was er meint, gebe aber keine Antwort.
    »Na?« sagt er. »Bin ich eine Art Henk?«
    »Wie meinst du das?« frage ich abweisend.
    »Dein Bruder. Bin ich jetzt wie dein Bruder?«
    Irgend etwas läuft hier ganz falsch. Wann hat das angefangen? »Nein«, sage ich.
    Es bleibt einen Moment still. »Ich find deinen Vater tapfer«, sagt er dann.
    Die Haut an meinen Schulterblättern juckt vor Ärger. Dieses Selbstsüchtige. Redet, wenn er reden will, und wenn es mitten in der Nacht ist. Ich muß früh raus und melken, er bleibt liegen und steht gegen acht auf, um das Jungvieh zu versorgen. Wenn er aufsteht.
    »Man könnte es auch feige nennen«, sage ich.
    »Wieso das?«
    »Das verstehst du nicht.«
    »So.«
    »Schlafen«, sage ich. Ich liege immer noch auf der Seite, obwohl ich mich gern anders hinlegen würde. Ich starre die Lamellen an, sehe aber Adas Kopf in der Küchentür erscheinen. Sie schaut mich schelmisch an und sagt: »In einem großen Bett hättest du schön viel Platz.« Dann wirft sie mir einen vielsagenden Blick zu, was wegen der Hasenscharte auch jetzt wieder lustig aussieht. »Zwei Kissen, Helmer. Zwei Kissen.« Sobald ich glaube, daß Henk eingeschlafen ist, drehe ich mich auf den Rücken und scheuere das Jucken weg. Mein Blick ruht auf dem dunklen Viereck im Rahmen neben der Tür. Ich wollte, ich wäre in dem Rahmen und dächte an hier.
    »Ich glaub, es ist doch so«, sagt er im Halbschlaf. »Daß ich eine Art Henk bin.«
    Verdammt, es reicht, denke ich.

    Kurz darauf schläft er, und ich denke an den Graben und das Schaf. Bei einem der Mutterschafe hat es zu lange gedauert, gestern habe ich zwei tote Lämmer geholt. War das vielleicht das

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