Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
den Sattel. »Danke«, sagt er im Wegfahren.
Mit einer Narbe ist er gekommen, mit zwei Narben fährt er weg.Er sagt »danke«. Nicht spöttisch, nicht giftig. Neutral. Aber warum sagt er es? Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, also halte ich den Mund. Er fährt schnell und ist bald hinter dem Hof von Ada und Wim verschwunden. Ein früher Donnerstagsradler kommt vorbei, ein alter Mann, etwas älter als ich, in Hemdsärmeln. Er kommt von der Straße ab und landet dann fast noch im Kanal, weil er den Blick nicht von mir und dem Gewehr abwenden kann. Ich warte, bis er wieder richtig im Sattel sitzt und seine Fahrt in gerader Linie fortgesetzt hat. Ich werfe das Gewehr nicht in den Graben, ich gehe auf die Straße und werfe es in den Kanal. Auf dem Rückweg bleibe ich einen Moment auf der Brücke stehen. Die Krähe dreht sich um. Sie ordnet ihr Gefieder neu und trippelt ein paarmal hin und her. »Was willst du nun?« frage ich leise. Sie gibt keine Antwort.
Dein Vater braucht es nicht mehr . Was hatte ich selbst vor ein paar Monaten gesagt, als mein Blick auf Vaters Fahrrad fiel und ich wußte, was Henks erste Arbeit sein würde? »Das ist das Rad von meinem Vater, aber der kann nicht mehr radfahren.« Das ist nicht das gleiche wie »nicht mehr brauchen«. Erst abmelken, dann gehe ich nach oben. Immer erst die verdammten Kühe. Immer unter den Kühen hockenbleiben wie der letzte Idiot, auch wenn man weiß, daß der eigene Vater tot in seinem Bett liegt.
Die Menschen wollen immer wissen, woran jemand gestorben ist; je älter die Toten sind, desto geringer ist allerdings diese Neugier. Aber wem kann ich sagen, daß Vater an einem Ei gestorben ist? Dem Hausarzt, den ich gleich anrufen werde? Dem Bestatter? Leuten,die ich kaum oder gar nicht kenne? Ich muß lachen, aber auf einmal ist mir das Ticken der Standuhr so unerträglich, daß ich die Glastür öffne und das Pendel mit beiden Händen packe, um es zum Stillstand zu bringen. Dann setze ich mich auf den Stuhl am Fenster. Die Knospen der Esche sind aufgebrochen, zarter, violettgrüner Flaum bewegt sich leise im Wind. Es ist noch früh, die Zeiger der Standuhr sind auf halb zehn stehengeblieben. Ich kann ihn noch nicht ansehen, ich werde erst noch eine Weile hier auf dem Stuhl sitzen bleiben und durch den Flaum der Esche zum Deich hinüberstarren.
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Ich habe ein Foto von Henk von der Wand in Vaters Schlafzimmer genommen und auf den Kaminsims gestellt, auf die andere Seite des Spiegels. Das Foto steckt in einem alten Rahmen, bei dem man sich aussuchen kann, ob man ihn aufhängt oder hinstellt. Mein Bruder sitzt in einem nagelneuen Overall auf einem Melkschemel neben einem grobknochigen Hinterteil und schaut in die Kamera, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt, als eine Kuh zu melken. Jetzt sind wir alle im Wohnzimmer beisammen.
Heute morgen habe ich Vater allein gelassen, um in Monnickendam in einen Tabakladen zu gehen. Ich hatte das Gefühl, daß ich das
eigentlich nicht machen dürfte, ihn so allein im Wohnzimmer zurücklassen. Deshalb habe ich, bevor ich losgefahren bin, Flur- und Haustür abgeschlossen. Im
Tabakladen waren zwei Leute vor mir, und ich war nervös. Als ich an die Reihe kamund die Verkäuferin mich nach meinen Wünschen fragte,
hatte ich mir die Regale hinter ihrem Rücken noch nicht richtig ansehen können. »Ich möchte ein Päckchen Shag«, sagte ich. Glücklicherweise war nach mir
noch niemand in den Laden gekommen. »Ja gern, welche Marke?« Das wußte ich nicht. Welche ich sonst rauchen würde? Van Nelle, las ich rechts von ihrer
Hüfte. »Van Nelle«, sagte ich. » Zware oder Halfzware ?« » Halfzware «, antwortete ich, jetzt nicht mehr auf gut Glück, weil ich plötzlich das fast leere Tabakpäckchen auf dem Tisch im Knechtshaus vor mir sah. Auch Papier? Mascotte – natürlich, das hatte beim ersten Mal neben dem Tabak gelegen, und später hatte ich es in seinen Händen gesehen; beim Drehen hatte er mit dem Daumen routiniert den überschüssigen Tabak vom Rand abgewischt. »Ja? Wissen Sie schon, was Sie möchten?« fragte die Verkäuferin. »Mascotte«, sagte ich. »Das wären dann vier Euro und acht Cent.« Ich bekam einen Schreck; daß Tabak so teuer ist, hatte ich nicht geahnt.
Später habe ich im Schreibtisch nach Vaters Papieren gesucht und dabei den Brief von Staatsbosbeheer gefunden. Ich habe ihn oben auf einen Stapel mit anderen Briefen gelegt und werde ihn bald, aber nicht jetzt, noch einmal
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