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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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glitzernden Steine, die Schafe, die Heiligen Drei Könige, der Stall, alles ist da, wie jedes Jahr. Es hat etwas unglaublich Beruhigendes. Dann wird Oma wieder munter: »Wie lange bleibt ihr denn noch? Sicher zum Abendessen!«
    Ich nicke.
    »Es ist immer viel zu kurz«, Oma nimmt mich am Ellenbogen und bugsiert mich Richtung Treppe, »aber immerhin bleibt ihr noch zum Essen. Ich habe nämlich einen Lauchkuchen vorbereitet. Du weißt ja«, sie wirft mir einen verschwörerischen Blick zu, »so wie ihn deine Mama immer gemacht hat.«
    Das erzählt sie mir immer wieder, ich habe ihn auch schon des Öfteren bei ihr zum Essen bekommen. Ich koche ihn inzwischen sogar selbst. Allerdings mache ich ihn nach dem Original-Mama-Lauchkuchen-Rezept: nämlich die vegetarische Variante. In Omas Version hat sich Schinken eingeschmuggelt. Aber das behalte ich für mich, der Lauchkuchen ist so oder so lecker. Tino bleibt vertieft in irgendwelche Zeitungen im Wohnzimmer sitzen, und wir steigen vorsichtig über die steile Treppe ins Erdgeschoss. Oma ist schon ab und zu gestürzt in den vergangenen Jahren, aber bisher ging alles glimpflich aus. Zwar noch nie auf dieser Treppe, aber sogar ich habe Respekt vor den etwas schiefen und ungleichmäßigen Stufen. In der Küche werde ich wieder zur Untätigkeit auf meinen Hocker verdammt, und Oma beginnt mit liebevoller Hektik, alles auf den Kopf zu stellen. So manches Mal sehe ich die Dinge schon herunterfallen. Aber es passiert nie etwas. In Rekordzeit fügt sie die vorbereiteten Zutaten zusammen, und ab damit in den Ofen: »In einer halben Stunde gibt es Essen«, verkündet sie. »Jetzt decken wir den Tisch!«
    Wir schleppen die Teller nach oben, klären die Getränkefrage und warten dann im Wohnzimmer auf das Klingeln des Küchenweckers. Beim Essen gesellt sich mein Onkel wieder zu uns, der in der Zwischenzeit im Garten fleißig war. Da muss es schon einen mittelschweren Schneesturm geben, bevor er draußen nichts zu tun findet. Nach dem Abendessen folgt das »Abschiedsritual« im Vorratskeller. Ich habe mittlerweile saukalte Füße, irgendwie schaffe ich es nicht, dass es mir in dem alten Haus warm bleibt. Dazu habe ich wohl zu lange in Wohnungen gelebt, die nicht so fußkalt sind. Aber ich bin gerüstet, die frischen warmen Socken liegen im Auto bereit. Oma und mein Onkel verabschieden uns in dem kleinen Gang bei der Eingangshalle. Weil es auf den Stufen zum Gartentor glatt sein könnte, bleibt Oma heute lieber oben stehen, während wir zum Auto stapfen. Ich winke nochmal, bevor ich einsteige. Es ist einfach wieder schön gewesen!

    Eine Woche später, an einem Montag im Januar, habe ich den Termin bei Doktor König in Freiburg. Vorsorge und Ultraschall. Vorsichtshalber habe ich am Wochenende vorgearbeitet: Der Unterricht für Dienstag ist weitestgehend in trockenen Tüchern. Inzwischen weiß ich ja, dass solche Arztbesuche fatal enden können. Wer weiß, in welchem Zustand der Auflösung ich da hinterher rauskomme!
    Die Praxis ist leicht zu finden. Ein feudales Gebäude in der Freiburger Innenstadt, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Diese Praxis nennt sich Brustzentrum und sieht verdammt privat aus. Im Treppenhaus bleibe ich vor einer Infotafel stehen. Da steht so ziemlich alles bis ins kleinste Detail: von der Plastischen Chirurgie bis zum Brustkrebs. Nur den familiären Brustkrebs vermisse ich. An der Theke des Praxiszentrums geht es hektisch zu. Ständig klingelt das Telefon, mehrere Sprechstundenhilfen sind am Werk, und Patientinnen stehen herum. Ich werde in ein Wartezimmer gesteckt mit einem kärglichen Zeitschriftenrepertoire. Am meisten hätte ich zu lesen, wenn ich gerade schwanger wäre. Danke, kein Bedarf, habe andere Sorgen. Inzwischen bin ich ja Profi im Warten-bei-Ärzten und zücke mein Buch. Nach einigen Seiten merke ich aber, dass an Lesen gerade nicht zu denken ist, denn ich bin zu angespannt. Irgendwann werde ich von einer Artzhelferin nach oben gebeten. Was auch immer das heißt. Ich nehme also die Treppe, die gleich neben der Eingangstür ist, und stelle fest, dass oben der Wartebereich Nummer zwei ist. Etwas enger, noch weniger Zeitschriften, dafür viele Sprechzimmer, die vom Wartebereich abgehen. Einmal erscheint der Kopf einer Ärztin, die die nächste Patientin aufruft. Rechts von mir schaut ein Mann herein. Ob er das ist? Keine Ahnung, ich bin noch nicht dran. Einige Zeit später höre ich meinen Namen. Doktor König ist ein gutaussehender Mann mittleren Alters, der

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