Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
Vom Netzwerk:
Meistens hat Klaus sogar eine intelligente Lösung, an die ich vorher nicht gedacht hatte. Manchmal trage ich mit meinen Ansichten einer Junglehrerin auch sehr zu seiner Erheiterung bei. Er ist insgesamt ein positiver Mensch, und entsprechend lachen wir viel. Auch aus den Situationen, von denen Klaus erzählt, kann ich viel lernen: Er hat oft eine unorthodoxe Art, mit unseren beruflichen Anforderungen umzugehen, die ich sehr inspirierend finde. Zudem bin ich mir sicher, dass er ein richtig guter Lehrer ist.
    Gerade morgens findet bei uns immer ein reger Austausch statt. Klaus meinte sogar irgendwann mal zu mir: »Weißt du eigentlich, dass ich weder mit meiner Frau noch mit meinen Kindern so viel rede wie mit dir?« Stimmt schon, zwei Stunden Fahrt täglich, das ist schon einiges. Lediglich mittags wird es manchmal ruhig, wenn der Beifahrer gelegentlich mal wegdöst.
    Wir bequatschen aber nicht nur schulische Themen. Klaus hat die ganze Geschichte mit meiner Gentesterei von Anfang an mitbekommen. Obwohl ich eigentlich fast nur in den Ferien Termine in Köln hatte, kamen die Gespräche doch immer darauf. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass er versteht, was ich tue. Das schätze ich sehr, und das ist leider sehr selten in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Die Jahre, die er mir vorweg hat, haben ihm die unterschiedlichsten Erfahrungen ermöglicht. Mir scheint, dass solche Menschen mich und mein Vorgehen besser nachvollziehen können. Die Akademiker Anfang dreißig gründen dagegen Familien und bauen Häuser. Da passe ich nicht so recht dazu. Verstandesmäßig ist es eine vollkommen logische Angelegenheit, hier das Erkrankungsrisiko, dort die Maßnahme, die das Risiko fast auf null reduzieren kann. Punkt. Klaus sieht das mit der nötigen Abgebrühtheit. Tino unterstützt mich natürlich auch, wo er kann. Er vertritt meinen Weg fast noch radikaler als ich. Aber es ist etwas anderes, wenn jemand von außen klar signalisiert, dass er unser Vorgehen versteht.
    Bei einem unserer Gespräche zum Thema Gentest habe ich angemerkt, dass ich nicht weiß, wie ich die Kinderfrage für mich beantworten soll. Soll ich trotz einem möglichen Risiko, dass ich einen Defekt vererbe, Kinder bekommen? Ich weiß, dass Klaus selber Kinder hat und diese auch über alles liebt. Auf meine Frage meinte Klaus nur trocken: »Wozu braucht ihr beide eigentlich Kinder? Ihr habt doch so viele gemeinsame Hobbys.« Das stimmt, die ganzen Sportaktivitäten – Radfahren, Laufen, im Winter Skilanglauf – mache ich mit Tino gemeinsam. Zudem arbeiten wir beide sehr gerne und verstehen unseren Job schon auch etwas als Berufung. Was fehlt also?
    Das war mal eine erfrischend pragmatische Meinung. Zum Thema Kinder habe ich schon die verschiedensten Reaktionen erlebt. Eine Freundin sagte mir gerade neulich: »Ob du den Gendefekt weitervererbst, ist doch egal. Das Kind kann damit leben, so wie du es ja auch tust.« Aber mir ist es nicht egal, dass ich einer Tochter mit einer immerhin fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit das Brustkrebsgen vererben könnte. Natürlich kann darüber jeder denken, wie er will. Aber ich vermute, dass viele meiner Freunde und Bekannten einfach nicht richtig verstanden haben, was diese genetische Veranlagung tatsächlich bedeutet. Das sehe ich ja schon an den Reaktionen der Menschen, wenn wir auf dieses Thema zu sprechen kommen: Fast niemand fragt da nach, meistens hören es sich meine Gesprächspartner schweigend an – und wechseln dann das Thema. Ich kann den Impuls durchaus nachvollziehen. Wahrscheinlich glaubt man, dass es mir als Betroffener wehtun würde, darüber zu berichten. Man möchte mich vielleicht schonen und nicht in offenen Wunden bohren. Aber leider richtet diese Reaktion eigentlich nur Schaden an. Durch das Schweigen fühle ich mich schlecht, ja – und Tino hat mir bestätigt, dass es ihm ähnlich ergeht – fast wie eine Aussätzige, die ihr Gegenüber mit ekligen Details einer abstoßenden Krankheit belästigt. Und Fakt ist, dass auch meine Gesprächspartner so nie richtig verstehen werden, unter welcher Belastung ich stehe und mit welchen Problemen ich zu kämpfen habe.
    Wenn das Gespräch auf die Mastektomie kommt, gibt es manchmal eine spontane Reaktion. »Um Gottes willen, das kannst du doch nicht machen!«, höre ich dann fast immer. Aber leider folgt kein Gespräch darüber, was denn an Alternativen besteht, wie mein Erkrankungsrisiko genau aussieht, welche Form von Krebs ich im Erkrankungsfall

Weitere Kostenlose Bücher